Mensch und Natur – Gentechnik immer die Lösung?

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Massentierhaltung und eine fortschreitende Technisierung in diesem Bereich lassen sich wohl nicht mehr verhindern. Also lasst uns doch einfach die Tiere gentechnisch derart beeinflussen, dass sie schlicht keine Schmerzen mehr spüren können und somit ihre Leiden minimiert werden.

Keine Sorge, das ist nicht meine Idee, sondern die des amerikanischen Philosophen Adam Shriver der Washington University in St. Louis. Seiner Meinung nach seien gen-technisch "hergestellte" (im Sinne von manipuliert, ich mag das Wort aber nicht) Tiere, die keinen Schmerz mehr spüren können, die einzige akzeptable Alternative zur momentanen Situation (wenn wir weiterhin Fleisch genießen wollen, Ergänzung meinerseits). Oder in seinen Worten ausgedrückt: Schmerzfreie Tiere sind DIE Möglichkeit, weiterhin Fleisch zu essen ohne gleichzeitig Tierquälerei in Kauf zu nehmen. Dabei liegt die Realisierung dieser Idee in gar nicht mal so weiter Ferne – zumindest aus technischer Sicht. Gebremst wird das ganze momentan noch durch Ökonomie und Ethik, zwei Faktoren, die nicht unbedingt immer zusammenpassen wollen. Ein anderes – viel schwerwiegenderes Problem – ist die Tatsache, dass die Wissenschaftler noch gar nicht so genau wissen, wie das mit dem Schmerzempfinden bei den Tieren funktioniert. Sie vermuten aber, dass es ähnlich dem des Menschen ist.

Interessanterweise macht die Idee schmerzfreier Tiere nur auf den ersten Blick wirklich Sinn – genau dann, wenn Bilder von geschundenen Tieren vor dem geistigen Auge vorbeilaufen. Aber ein Kritikpunkt wird schon im Artikel genannt. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sich die Tiere – weil sie eben nichts fühlen – erst recht nicht davor zurückschrecken, sich und andere Artgenossen auf beengtem Raum zu verletzen, womöglich sogar heftiger als mit Schmerzgefühl. Dass diese Bedenken nicht ganz aus der Luft gegriffen sind, illustriert die Entdeckung dreier pakistanischer Familien im Jahre 2006. Dort haben Wissenschaftler sechs Kinder gefunden, die übersät waren mit Verletzungen. Einer der Jungs rammte sich sogar Messer durch die Hand – er spürte ja keinen Schmerz. Leider starb er kurze Zeit später, als er vom Dach sprang.

Allerdings gibt es da noch einen weiteren Faktor, den man nicht so einfach durch "Schmerzfreiheit" beseitigen kann, der aber eine große Rolle für Mensch und Tier spielt: Stress. Lange Tiertransporte ohne ausreichend Wasser und Nahrung, der Ablauf im Schlachthof. Bei dem Faktor Stress geht es nicht nur um das Wohl des Tieres, sondern auch um das, was wir Konsumenten später auf dem Teller haben. Vornehmlich bei Schweinen gibt es das Problem starken Stresses (MHS = Malygenes-Hyperthermie-Syndrom) kurz vor der Schlachtung, was danach zu stürmischen Soffwechselvorgängen in den Muskeln führt. Das dadurch entstehende Fleisch ist dann hell, weich und wässrig.  Das Gegenteil – hartes, dunkles und trockenes Fleisch – tritt nach langen Ausnüchterungszeiten und damit verbundenem Stress auf.

Was ich damit sagen möchte, ist, dass diese Schmerzfreiheit keinesfalls die Lösung für irgendein Problem ist, eher ein fünftes Rad an einem Geländewagen – kann nützlich sein, muss aber nicht. Bevor man also in das Genom der Tiere eingreift, sollte man erstmal das Verbesserungs-Potential anderweitig ausloten. Und da ist noch viel Luft, wenn man Landwirtschafts- und Schlachtbetriebe an die Bedürfnisse und das Verhalten der Tiere anpassen möchte – womit wir wieder bei Ökonomie und Ethik wären. 

Aber das überlasse ich mal Euch.

Quelle: Pain-free animals could take suffering out of farming

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

14 Kommentare

  1. Das wäre auch im Hinblick auf synthetisches Fleisch interessant. Der normale Ansatz dabei ist ja, Gewebe in der Petrischale zu züchten und das ganze dann bis zum Steak hochzuskalieren. Die schmerzfreien Tiere wären praktisch der entgegengesetzte Ansatz: Man nimmt alles aus dem Tier raus abgesehen von der Fähigkeit, Gewebe zu bilden.

  2. Sythetisches Fleisch

    Ja, das mit dem künstlich hergestellten Fleisch stand auch noch dabei, hab ich aber erstmal weggelassen. Sind alles Bereiche, die ich momentan erstmal als potentiell interessant einstufen würde, mehr aber auch nicht, da im Hier und Jetzt noch einiges an ungenutztem Potential steckt, ganz ohne Petrischale^^

  3. Zusammentreffen

    Solche Ideen kommen heraus, wenn Unwissenheit und Philosophie zusammentreffen.
    Pflanzliche, tierische und menschliche Zellen reagieren auf Reize/Außenreize. Dies ist ein wesentlicher Grund für die Vielfalt des Lebens.
    Dies ist z.B. für die Wissenschaftler ein Problem, welche künstliche Gewebe/Muskeln für medizinische Zwecke züchten wollen: Werden die Kulturen/Zellen nicht gereizt, so entstehen höchstens Zellhaufen aber keine strukturierten Gewebe/Muskeln.

    Würde man schmerzfreie Tiere züchten, d.h. Tiere welche keine Reize mehr spüren können, dann würde dies zum Kollaps dieser Lebewesen führen.

    Deshalb braucht man noch nicht einmal ethisch denken, um eine solche Idee als Unsinn zu erkennen.

    Es gibt den Spruch ´Wenn Dummheit weh tun würde, dann müsste er/sie den ganzen Tag schreien.´ – Da haben manche Philosophen aber Glück – dass das Gehirn schmerzunempfindlich ist. 🙂

  4. Dunkle Erinnerung

    Lieber KRichard,

    ich kann mich nur etwas dunkel an das erinnern, was Du in Deinem Artikel beschreibst. Danke für den Zusatz.

  5. Wie bereits oben gesagt, würde ein Tier, das keinen Schmerz empfindet, sich vermutlich selbst verletzen. Neben dem sozusagen mechanischen Schmerz gibt es auch einen seelischen Schmerz, der zusätzlich verhindert werden müsste. Das Tier müsste weitgehend ohne Bewusstsein dahin vegetieren, vor allem dürfte es keine Bedürfnisse haben in der sozialen Rangfolge der Herde (oder Rotte) aufzusteigen, für Nachwuchs zu sorgen und seiner Familie neue Räume zu eröffnen.

  6. Lieber Luchs,

    ich stimme mit Dir überein, dass es da sicherlich auch noch einen seelischen Schmerz gibt, den man nicht unterschätzen sollte.

    Die letzten beiden Punkte (Fortpflanzung und “neue Räume schaffen”) sind allerdings eher nachrangig, solange sich die Tiere in menschlicher Obhut befinden. Fortpflanzung geschieht hauptsächlich künstlich und neue Räume gilt es in einem Betrieb eher selten zu erschließen.

  7. “Die letzten beiden Punkte (Fortpflanzung und “neue Räume schaffen”) sind allerdings eher nachrangig, solange sich die Tiere in menschlicher Obhut befinden. Fortpflanzung geschieht hauptsächlich künstlich und neue Räume gilt es in einem Betrieb eher selten zu erschließen.”

    So ist es. Meinst Du nicht, dass die Tiere darunter leiden? Für ein Tier gibt es doch nichts schöneres als Fressen, Kinder machen und Kinderaufzucht (in dieser Reihenfolge 😉

  8. Behandlung der Tiere

    Naja, Fressen können sie ja^^

    Aber ich denke, wenn wir eine ordentliche Behandlung der Tiere gewährleisten können, dann ist schon eine Menge gewonnen. Vielleicht gehe ich in einem späteren Artikel mal auf Haltungskonzepte ein, die auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen (wenn sich da Material findet)

  9. Schweine-CD

    Viele Autofahrer hören während der Fahrt Musik, um sich zu entspannen.

    Wieso bietet man so etwas nicht auch für Schweine: Wenn man die Tiere während des Transportes und bei der Ankunft im Schlachthof mit schweinetypischen Geräuschen beschallt, könnte dies doch entspannend/ablenkend für die Tiere sein – und den Stress mildern.
    Ich weiß nicht, ob man so etwas schon versucht hat.

  10. Saumäßige Musik

    Interessante Idee, erinnert mich aber an den tollen Tipp: Wenn Dir ein fremder Hund entgegenkommt, darfst Du keine Angst zeigen.

    Es ist völlig egal, wie man einen Hund anschaut. Wenn man Angst hat, hat man Angst und das merkt der Hund. Fertig aus.

    Anderes Beispiel: Wir haben schon seit einiger Zeit eine ziemliche Wildschweinplage. Der Garten meiner Eltern sah teilweise aus wie eine Traktor-Rennstrecke. Da bekamen sie den Tipp, sie sollten sich mal ein Spray besorgen, das den Geruch von Löwenurin imitiert und damit die Zäune markieren. Ergebnis: Die Schweine haben sich das drei Tage angeschaut und festgestellt, dass wir keinen Löwen im Garten haben und waren wieder da. Jetzt haben wir einfach die Zäune verstärkt. Teuer aber funktional^^

    Was ich damit sagen will: man darf nicht den Fehler machen und einfach menschliche Denk- und Handlungsweisen 1zu1 auf Tiere übertragen. In den Tieren stecken noch andere Sinne, die über ohnehin schon gute Nasen und Ohren hinausgehen.

    Wieso weiß unser Hund, dass es zum Tierarzt geht, bevor wir überhaupt das Haus verlassen haben?

  11. Schnapsidee

    Vielleicht war die Idee die Schweine per Schweine-CD vom Transport und Schlachthofstress abzulenken eine Schnapsidee – vielleicht aber auch nicht.

    Die Kosten belaufen sich auf CD-Player und Lautsprecher =

  12. Musik als EIN Faktor

    Lieber KRichard,

    vielleicht ist die Idee mit der Musik gar nicht mal so schlecht, wenn dann auch andere Modifikationen bei Haltung und Transport einhergehen – sozusagen Musik als Unterstützung.
    Wenn das jemand wissenschaftlich erforschen möchte, begleite ich das gerne publizistisch…
    Fragt sich nur, wie das mit dem Musikgeschmack bei Schweinen ist^^

  13. schweinetypisch

    schweinetypische `Musik´ könnten z.B. Geräusche von Schweinen beim Fressen sein – oder irgend etwas in dieser Richtung, was sie eben gerne machen.

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