Mensch und Natur – Beziehung wider Willen?

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

"Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben."

Das ist ein Zitat von André Gide, einem französischen Schriftsteller und Nobelpreisträger. Ein sehr schönes Zitat, wie ich finde. Als mir vor einigen Tagen, die Idee kam, dass ich mal einen Artikel zur Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur verfassen könnte, stieß ich (wurde aber auch gestoßen) immer wieder auf geistige Ergüsse von Menschen, die der Meinung waren, dass sie ganz genau wüssten, wie die perfekte Zukunft für unser aller Wohl auszusehen habe. Die Meinung, dass wir zurück zur Natur müssten, erfreut sich dabei anscheinend recht großer Beliebtheit. Definitiv nicht dazu gehören – ihrer Meinung nach – Gentechnik und Pestizide. Interessanterweise brauch man gar nicht groß zu philosophieren, um sich eine Welt ohne dieses Teufelszeug vorzustellen. Es gab sie schon. Und besonders toll war das damals nicht. Ernteausfälle durch Schädlinge waren keine Seltenheit. Auch Schimmelpilze konnten die Ernte noch im Nachhinein verderben. Überhaupt finde ich die Panik vor Pestiziden etwas übertrieben. Dazu gehören nämlich auch Fungizide, die die Entwicklung von Schimmel verhindern. Schließlich sind Schimmelpilz-Toxine kein Konstrukt verrückter Wissenschafler, die die Weltherrschaft anstreben, sondern schlicht ein Naturprodukt. Gentechnik wird gerne als Eingriff in die Natur angesehen. Allerdings haben die Menschen das schon immer getan. Oder kann mir hier jemand den evolutionären Vorteil von speziellen Fleisch- und Milchrindern in der Natur erklären? Bei Pflanzen sieht es nicht anders aus. Auch sie wurden für menschliche Belange optimiert. So ziemlich jeder kennt Gregor Mendel, der mit Erbsen experimentiert hat und damit grundlegende Regeln der Vererbung entdeckte.

Wir haben es also geschafft, Pflanzen und Tiere zu domestizieren und moderne Techniken ermöglichen es uns, die Ernteausfälle zu minimieren und somit die Erträge auf den Ackerflächen zu maximieren.

Im Fernsehen kann man sich immer wieder Berichte über noch "unberührte Natur" oder Naturschutz-Gebiete anschauen. Wenn man sich jetzt bewusst macht, dass 1950 gerade mal 2,5 Milliarden Menschen auf dieser Erde lebten, während heute schon 6,7 Milliarden ernährt werden wollen, erscheint die Sehnsucht nach landwirtschaftlichen Techniken aus der Vergangenheit schon etwas paradox, oder?

Ein weiteres Problem ist die Kommunikation. Wann tritt die menschliche Ernährung in den Medien in Erscheinung? Richtig, wenn wir mal wieder alle verfetten, an Diabetes zu erkranken drohen oder irgendein Chaot meint, er müsse Fleisch von letztem Jahr noch verkaufen. Das kann einfach nicht klappen. Da ist es schon fast wieder verständlich, wenn sich Leute die "gute alte Zeit" herbeisehnen. Negative Nachrichten und Berichte prägen sich eben stärker ein als die vielen Vorteile, die die heutige Nahrungsmittelproduktion gegenüber früher hat. Viele haben auch Angst vor Neuem, weil sie es nicht mehr verstehen. 

Wenn wir die Natur lieben und sie nicht nur als Lieferanten lebenswichtiger Dinge erleben wollen – sei es bei einem Waldspaziergang, dem obligatorischen Baden im Meer oder Spaß am Essen – dann brauchen wir einfach ein neues Bewusstsein – auch den Tieren gegenüber. Wenn ich in einem Zoo bin und sehe, wie Menschen mit Bratwurst in der Linken ein Schwein streicheln, dann finde ich das – diplomatisch formuliert – problematisch. Wir sollten uns auch bewusst werden, dass wir die Natur brauchen, aber sie auch ganz gut ohne uns klar kommt, auch wenn ich das Bild des bösen Menschen in der guten Natur eher unsinnig finde. Wir sollten die Natur also nicht zu sehr mit unserer Anwesenheit beschäftigen.

Ich weiß, einige Punkte hab ich noch weggelassen, dafür schreibe ich dann einen zweiten Artikel.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

24 Kommentare

  1. Darwin Award

    “Wir sollten die Natur also nicht zu sehr mit unserer Anwesenheit beschäftigen.” => diejenigen, die diesen Wunsch besonders originell ausführten, können mit dem Darwin Award geehrt werden.
    🙂

  2. *lacht*

    @ KRichard

    So, hab ich das noch gar nicht betrachtet. Ich hoffe aber, dass es auch ein bisschen so rübergekommen ist, wie ich es eigentlich meinte^^

  3. Mensch und Natur

    Eigentlich wird aus diesem Beitrag, ebenso wie aus dem vorangehenden und wie aus den Kommentaren dazu doch eines ganz klar: die Rede von “Natur” ist nicht zu führen, wenn man nicht zugleich vom Menschen redet und vice versa.

    Es ist doch immer dasselbe Lied: nichts ist irgendetwas aus sich, sondern stets nur in Bezug auf ein anderes. Verschwände der Mensch: die Natur verschwände mit ihm. Um den Verlust beider wär’s nicht schade, aber das ist ein anderer Gedanke…

  4. Brigitte

    @ Lieschen Müller:

    Also ich kann Dir versichern, dass dieser Artikel ausschließlich meinen Gehirnwindungen entsprungen ist, da ich die Brigitte weder lese noch daraus zitiere. Ähnlichkeiten sind also rein zufällig.

  5. “Verschwände der Mensch: die Natur verschwände mit ihm.”

    Sekunde mal: die Natur hat es in der Vergangenheit eigentlich ganz gut ohne den Menschen geschafft. Das Verschwinden mag sicherlich auf die vom Menschen kultivierten/domestizierten Arten zutreffen, die dem evolutionären Treiben nicht standhalten würden.

  6. @ Mensch und Natur

    “..die Natur hat es in der Vergangenheit eigentlich ganz gut ohne den Menschen geschafft.”

    Definier’ mal Natur…

  7. Natur definieren? Hatte ich das nicht schon getan? Nehmen wir mal ein Beispiel: Wildschweine. Warum sollten die ohne den Menschen auch aussterben? Die Population würde sich dann ohne Jäger eben wieder über Nahrungsmangel regulieren. Die vom Menschen optimierten Schweine, die lediglich auf Wachstum und Muskelmenge ausgelegt wurden, werden wahrscheinlich ohne den Menschen ziemlich schnell verschwinden. Bei den Pflanzen das gleiche Bild. Die vom Menschen kultivierten Pflanzen können auch nur leben, weil der Mensch ihnen das “Gröbste” vom Hals hält – oder hätte ich Halm sagen sollen?^^ Alles andere, was man gerne abfällig als Unkraut abtut, weil diese Pflanzen das penible Bild des eigenen Gartens einiger Menschen arg stören, dieses Unkraut wird sich dann wieder verstärkt vermehren. Muss ja nicht schlecht sein.

  8. @ Sus scrofa

    Ich bat nicht um eine Beschreibung der Wildsau, sondern um eine Definition von “Natur”.

    Implizite hast Du sie freilich gegeben: “Natur ist, was auch ohne den Menschen sein kann”. Mithin hast Du Natur (ex negativo) über den Menschen definiert. Mit anderen Worten: der Begriff von der Natur setzt den des Menschen voraus, und umgekehrt.

    Ob auch das Sein der Natur den Menschen voraussetzt, ist freilich eine andere Frage. Und natürlich hab’ ich mich mal wieder der Sünde schuldig gemacht, ontologische und begriffslogische Ebenen zu vermengen.

    Um’s noch mal klar zu machen: ich äussere die metaphysische/ontologische Vermutung, dass “Sein” stets “Bezogensein” ist, und dass am Grunde dieses “Bezogenseins” stets das Verhältnis eines Subjektes zu seinen Objekten liegt. Keines von beiden ist “aus sich”, sie sind stets nur “füreinander”, die Substanz der Welt ist Bezug, nicht Materie.

    Das solipsistische Argument dazu lautet: ich kann mir eine Welt ohne mich nicht vorstellen.

    Um mich auch gleich wieder selber durch den Kakao zu ziehen: die berühmte Geschichte von dem Philosophen, der Solipsist war, und sich darüber wunderte, dass er die anderen nicht von seiner Meinung überzeugen konnte…

  9. Mensch und Natur

    @ Helmut Wicht

    Ich bin durchaus auch dafür, dass Mensch und Natur füreinander da sind, aber eben nicht mehr als nötig.

    Ansonsten haben Sie schon ganz gut verstanden, wie ich das meinte und über eine genauere Definition von Natur müsste ich erstmal in Ruhe nachdenken…

  10. der Boden der Tatsachen

    Hallo,
    nun habe ich ja das Glück relativ der Natur nahe zu leben. Nun denn eigentlich, dann doch nur in einer Kulturlandschaft.

    Wenn ich aus dem Fenster schaue stehen da ein paar Birkchen(Unkraut), wilde Brom- und Himberrsträucher, ein Apfelbaum, Wiesen und in 200-250m fängt der Wald an.

    Schon diese Landschaft führt einen an die eigenen selbstbezüglichen Grenzen. Wer jetzt hier rüber lächelt, den lade ich gerne zu einem Hundespaziergang guerfeldein ein. Zwei Kilometer den Berg hoch, auf einer Laubdecke unter der sich Löcher, Äste, Wurzeln und Steine verbergen, jeder Schritt eine neue Aufgabe ist. Stolpern zum Bewegungsablauf gehört und das ganze ohne die üblichen urigen Hindernissen.

    Ich stimme also Herr Schewe zu, wenn ich auch die neueren Entwicklungen, siehe Monsantos und Konsorten nicht für erstrebenswert halte und in einem Bereich ansiedele wo mir ein “Lieber Herrgott vergib Ihnen, den sie wissen nicht was sie tun.” entfleucht.

    Herr Wichts Spitzen kann ich nur mit einem grinsen guttieren.

    Es ist spät genug und ich werde nun den Dicken und die Zicke schnappen und ein wenig der Natur frönen.
    Es grüßen Sie die Ackerwinde, der Wasserläufer, der Mistkäfer, die Kletten und die Fledermaus wartet noch auf ihren Einsatz. Ich hoffe das sich nicht zuviele Bremsen zu essen einladen. 😉

    Einen schönen Abend noch.

    M.f.G. Uwe Kauffmann

  11. Natur gibt es vor, nach und neben den intelligenten Lebewesen genug. Die Beziehung der Natur zu Menschen ist, dass sie es wohl nicht merkt, wenn der Mensch Natürliches in Künstliches umwandelt, weil ihr dazu eben die Einsicht fehlt.

  12. @adenosine

    Hallo,
    die Natur denkt und fühlt nicht, sie ist einfach nur da oder auch nicht. Letzteres ist dann eine hochnotpeinliche Situation für von ihr abhängige Lebewesen.
    Aus der sicht von Naturreligionen sieht das natürlich anders aus. Da bekommt Gottlosigkeit dann auch eine andere Beddeutung. 😉

    Gruß Uwe Kauffmann

  13. Personifizierungen

    Es ist falsch, Wirkprinzipien zu personifizieren.

    Das führt dann dazu, daß man sagt: “die Evolution entwickelt schnellere Hasen”, obwohl man sagen könnte: “langsamere Hasen werden öfter gefressen”, und so ganz ohne das Wort “Evolution” auskommt.

    “Die Evolution” ist kein physikalisches Objekt, oder gar eine intelligente Lebensform.

    “Die Evolution” ist nur ein Sammelbegriff für einige gut beobachtbare Vorgänge bei Lebewesen.

    “Die Fallgesetze” sind ja ebenfalls nicht die Ursache für das Fallen von Steinen.

    Und die Fisch-Stäbchen sind nicht die Antwort der Evolution auf Fischernetze mit quadratischen Löchern.

  14. @ Bednarik

    “Und die Fisch-Stäbchen sind nicht die Antwort der Evolution auf Fischernetze mit quadratischen Löchern.”

    🙂
    Sehr schön!

  15. Donnerwetter!

    Hier ist ja ganz schön was los gewesen ohne mich.

    Erstmal @ Uwe Kauffmann:

    Das, was Sie in Ihrem Kommentar geschildert haben, kann ich voll und ganz unterschreiben und es ist mir auch sehr bekannt. Danke für den netten Kommentar.

    @ Helmut Wicht:

    Mit ist gerade vielleicht eine bessere Definition für Natur eingefallen. Natürlich sind auch die vom Menschen domestizierten Tiere und Pflanzen irgendwie natürlich, würden aber auf sich gestellt einige Probleme haben. Wildtiere sind dagegen so ausgelegt, dass sie sich ganz gut selbst versorgen können.
    Was Ihre Spitzen angeht, bin ich Ihnen wahrscheinlich ein Stück weit auf den Leim gegangen und habe Ihnen ein Lachen beschert, das ist mir aber auch erst gerade bewusst geworden. Nächstes Mal weiß ich Bescheid^^.

    @ Karl Bednarik:

    Mir ging es weniger um eine Personifizierung der Natur oder der Evolution, habe aber es wohl während der Diskussion getan. Danke für den Hinweis.

  16. @ Sören Schewe

    @ Definition für Natur:

    “_Natürlich_ sind auch die vom Menschen domestizierten Tiere und Pflanzen irgendwie _natürlich_, würden aber auf sich gestellt einige Probleme haben.”

    Nicht böse sein. Aber so ein Satz -ich weiß nicht. Ich sage dazu besser nichts.

  17. @ Dietmar Hilsebein

    Eine Erläuterung wäre schon nicht schlecht. Abgesehen davon war das mit der Definition der Natur weder meine Idee noch Bestandteil des Artikels, Es hat sich einfach in den Kommentaren ergeben. Mehr nicht.

  18. Symbionten

    Die vom Menschen domestizierten Tiere und Pflanzen sind Symbionten des Menschen.

    Symbiose kommt in der Natur häufig vor.

    Ob man den Begriff der Symbiose auch auf Mensch und Maschine anwenden darf, ist noch unklar.

    Auch zum Beispiel Biber und Ameisen errichten technische Systeme.

  19. @ Sören Schewe

    “Eine Erläuterung wäre schon nicht schlecht.”

    Helmut Wicht gab zu bedenken, daß von Natur nicht gesprochen werden kann, wenn nicht zugleich auch über den Menschen gesprochen wird. Natur ist ja nicht *dort* und wir *hier*. Und dennoch ist der Mensch “ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d.h. durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist.” (Schopenhauer)

    Zu Ihrer Definition: Kennen Sie das Lied: Wenn der Topf aber nun ein Loch hat? Heinrich verfängt sich in einen Zirkel, da er am Ende auf jenen Topf verweist, der schon zu Anfang ein Loch hatte.

  20. @ Dietmar Hilsebein und Karl Bednark

    Schon klar, dass die Natur nicht “da” und wir “hier” sind. Das ist es auch gar nicht, was ich will. Aber ein “mehr” sollte meiner Meinung nach erst erfolgen, wenn man den Jetzt-Zustand ausgereizt hat.

    @ Karl Bednark
    Bei einer Symbiose profitieren beide Parteien. Bei Mensch und Maschine profitiert lediglich der Mensch. Der Maschine ist das herzlich egal, von daher ist die Übertragung meiner Meinung nach nicht möglich.

  21. @Bednarik

    Hallo,
    von Symbiose kann man wohl nur, bei einem autopitischem System sprechen, zu deren Exsistens zwei Elemente gehören, die zumindest was Reproduktion angeht selbstständig sind.

    Da wird es bei Maschinen zum Glück noch dünn.

    Oder wie ist die Betrachtungslage in diesem Themenfeld orientiert?

    Gruß Uwe Kauffmann

Schreibe einen Kommentar