Heimat und Identität: Mal schnuppern, ob hier zu Hause ist

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Science and the City

Heimat ist ein Ort, an dem man sich auskennt, habe ich erst kürzlich behauptet. Das sehe ich noch immer so, aber es reicht mir nicht. Schließlich kann ich mir durch eifriges Üben einen Stadtplan einprägen, aber angekommen bin ich deswegen noch lange nicht. Es fehlt das Vertraute, die Erinnerung, und ich vermisse den speziellen Duft, der mir sagt: Hier gehöre ich her.

Ohne Duft gibt es keine Heimat, schreibt der österreichische Schriftsteller Walter Kohl in einem Artikel im Standard. Er schildert darin sein Leben, nachdem er seinen Geruchssinn verloren hat – und damit auch sein Gefühl für Heimat. Die eigene Wohnung beschreibt er darin als einen Ort ohne Geruch, oder genauer gesagt: als einen Ort, dessen Geruch so alltäglich ist, dass man ihn nicht mehr wahrnehme. "Alle anderen Wohnungen dagegen riecht man, alle Innenräume, alle Treppenhäuser, alle Lokale, alle Autos, einfach alles. So entsteht der Eindruck von Heimat. Der Platz, der nach nichts riecht, der ist Heimat. Ich aber, der ich nichts rieche, habe deswegen nicht überall Heimat, wie man vielleicht meinen könnte. Für mich hat alles keinen Geruch. Das führt nicht dazu, dass ich überall daheim bin, sondern es bewirkt, dass alles Fremde ist. Nicht nur fremde Wohnungen. Sondern meine Wohnung, mein Arbeitsplatz, mein Büro. Alles."

Mein Heim – mein Duft
Wirklich bestätigen mag ich das nicht. Im Gegenteil: Für mich ist meine Wohnung immer mit einem ganz besonderen Duft verbunden. Ich nehme ihn besonders dann wahr, wenn ich längere Zeit verreist war und nach Hause komme. Ich schließe die Tür auf, betrete die Wohnung, stelle die Taschen ab und atme den vertrauten Duft meines Heimes ein, in dem es riecht, wie es nirgendwo anders riechen kann: Nach meinen Habseligkeiten, dem Holz der Möbel, meinem Lieblingstee und all den Erinnerungen, die ich in meiner Umgebung aufbewahre.

Das funktioniert auch an anderen Orten, zu denen ich eine tiefere Verbindung habe. Im Haus meiner Eltern zum Beispiel. Oder wenn ich mich an meine Hamburger Wohnung erinnere, mich in Gedanken in die chaotische Wohnküche beame. Oder wenn ich "Adore" von den "Smashing Pumpkins" höre  – Musik, die ich stark mit dem Leben dort in meiner wilden Frauen-WG verbinde. Dann glaube ich den speziellen Duft in der Nase zu spüren, den Duft dieser Zeit, in der ich mich gefühlt habe, als sei ich irgendwie angekommen.

Immer der Nase nach
Dass Heimat einen unverwechselbaren Geruch hat, würden Wüstenameisen sicher bestätigen, wenn man sie denn befragen könnte. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena, haben festgestellt, dass diese Krabbeltiere unter anderem ihren Geruchssinn nutzen, um nach der Nahrungssuche das kleine Loch im Wüstenboden zu finden, das den Eingang zu ihrem Bau darstellt (Steck K. et al. Frontiers in Zoology 2009). Anders als die meisten anderen Ameisen, folgen sie nicht einer selbstgelegten Pheromonspur, sondern spezifischen Gerüchen aus der Umgebung ihres Nestes. Die Forscher um Karin Steck identifizierten zunächst mit Hilfe der Gaschromatographie einige Duftstoffe, die für den Lebensraum einer Wüstenameise eine ganz spezifische Kennung darstellen. In anschließenden Feldexperimenten trainierten sie die Ameisen dann, Düfte zu erkennen, die einen versteckten Nesteingang markierten. Tatsächlich gelang es den Tieren, die spezielle Note ihrer Behausung von anderen Gerüchen zu unterscheiden und mit ihrer Hilfe nach Hause zu finden.

Duft der Erinnerung
Nun sind Menschen natürlich keine Ameisen, und wohl kaum einer von uns würde alleine auf seine Nase vertrauen wollen, wenn er sich auf den Heimweg macht. Für uns stecken hinter dem Duft der Heimat vielmehr besonders vertraute Gerüche, die mit intensiven Erinnerungen verknüpft sind. Gerüche können Erinnerungen auslösen und umgekehrt. Das bewies eine Forschergruppe um Jay Gottfried vom University College London (Gottfried, JA (2004) Neuron 4, 687–695). Die Wissenschaftler zeigten ihren Probanden verschiedene Objekte in Verbindung mit speziellen Gerüchen, die allerdings nicht unbedingt ins Bild passten. So war auf einem eine Ente abgebildet, es duftete dabei aber nach Rosen. Die Versuchspersonen sollten sich eine Verknüpfung zwischen Bild und Geruch ausdenken, also etwa eine Ente, die durch einen Rosengarten watschelt. Sahen die Versuchspersonen anschließend die Objekte, ohne etwas zu riechen, so beobachteten die Forscher trotzdem eine Aktivierung im piriformen Cortex, dem Zentrum für Geruchswahrnehmung. Bei unbekannten Bildern blieb diese Hirnregion unbeeindruckt.

Natürlich können verschiedenerlei Erinnerungen – positive wie negative – mit speziellen Gerüchen verknüpft sein. Doch gerade der Gedanke an intensive erfreuliche Ereignisse vermag in uns eine starke Sehnsucht auszulösen. Eine Sehnsucht nach Verbundenheit, nach Zeiten, in denen wir uns wohl gefühlt haben und eins waren mit unserer Umgebung. Und genau das ist Heimat: ein Ort der Sehnsucht und der Erinnerung. Und eben auch ein ganz spezieller Duft, der uns zeigt, wo zu Hause ist.

  • Veröffentlicht in: Soul

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Die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben, aber was sagt eigentlich die Wissenschaft dazu? Einst Biologin, heute freie Journalistin, gehe ich hier dieser Frage nach – in Deutschland und dem Rest der Welt. Denn wenn ich nicht gerade arbeite, bin ich am liebsten in meinem blauen Mercedes 508D unterwegs... wer mehr darüber wissen will: Unter www.team-ferdinand.de blogge ich Geschichten von unterwegs. Stefanie Reinberger

2 Kommentare

  1. Danke für diesen schöne Facette

    Liebe Frau Reinberger,

    vielen Dank für diese schöne Facette zum Thema Heimat.Ich entdecke gerade, wie vielschichtig dieser Heimatbegriff ist, was allerdings bei genauerem Nachdenken auch nicht verwundert. Denn Heimat ist ja nicht nur ein Begriff, sondern auch ein weitreichendes Konzept, und so ist es auch nachvollziehbar, dass jeder so seine ganz persönlichen Vorstellungen damit verknüpft. Und auch, wenn er jetzt so naheliegend ist: An den Aspekt des Duftes hatte ich bei Heimat noch gar nicht gedacht.

    PS: Ich bin vor etwa einem Jahr in eine Wohnung gezogen, die sehr stark nach den Habseligkeiten meines Vormieters roch, was mir bei der Besichtigung gar nicht aufgefallen war. Ich habe diesen Fremdgeruch mit allen Mitteln bekämpft und konnte mich erst dann wirklich wohl fühlen, als ich diesen “Fremd”-Geruch bei dem Betreten der Wohnung nicht mehr wahrnehmen konnte. Erst dann kam ich tatsächlich “nach Hause”.

  2. Heimat riechen:)

    ich lese gerade den interessanten Beitrag. Menschen nehmen den Geruch ihrer Wohnung nicht war? also ich nehme ihn war und es stimmt, dass viele Gerüche an z. B Urlaub, oder Heimat erinnern, sowohl mit positiven als auch mit negativen Sachen verbunden.

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