Denkanstöße – Neurowelt am Badesee

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Science and the City

Eigentlich lese ich keine wissenschaftlichen Bücher. Jedenfalls nicht, wenn ich nicht muss, und schon gar nicht im Sommer, wenn Park und Badesee locken und sich eigentlich eher Krimis, Liebesschnulzen oder Vampierromane als Begleiter anbieten. Vielleicht sollte ich das nicht öffentlich zugeben, könnte diese Einstellung doch meinem Ruf als Schreiberling in diesem Bereich schaden. Aber ehrlich währt schließlich am längsten, will das Sprichwort. Und wenn – wie manch einer fürchtet – Wissenschaftler eines Tages tatsächlich in der Lage sein sollten unsere Gedanken zu lesen, kommt am Ende sowieso alles raus.

Und warum sollte ich mich überhaupt mit einem Buch über Neurowissenschaften befassen, das schon mehr als zwei Jahre alt ist? Ist es nicht so, dass einer derart schnell fortschreitenden Disziplin eher neu, neuer, am neusten zählt?

Aber gut, mit irgendwas muss frau sich nach der Fußball-WM ja beschäftigen. Zudem ist das Buch kartoniert und mit seinen 168 Seiten auch handlich genug, um in der Badetasche Platz zu finden. Und immerhin lässt der Titel "Schöne neue Neurowelt" doch auf ein gewisses Lesevergnügen hoffen.

Ich nehme es also mit, strecke beim Sonnen meine Nase hinein und stelle schnell fest: Auch wenn die Forscherwelt seit der Veröffentlichung von Rüdiger Vaas’ Büchlein sicherlich die eine oder andere neue Erkenntnis gewonnen hat, an Aktualität hat es deswegen noch lange nicht verloren. Mit dem Untertitel "Die Zukunft des Gehirns – Eingriffe, Erklärungen und Ethik" lässt der Autor darauf hoffen, dass er sich nicht allein darauf beschränkt, das wissenschaftlich Machbare zu schildern, sondern auch ethische Aspekte nicht zu kurz kommen lässt. Und er hält sein Versprechen. Egal, ob Vaas sich mit Glücksmedikamenten auseinander setzt oder mit der Idee Denkorganen durch chirurgische oder technische Kniffe auf die Sprünge zu helfen: Immer hinterfragt er die möglichen Folgen des wissenschaftlichen Tuns. Dabei drückt er dem Leser nicht seine eigene Meinung auf, sondern regt mit provozierenden Fragen dazu an, sich selbst ein paar Gedanken zum Thema zu machen. Und selber denken verliert niemals an Aktualität!!!

Besonders beeindruckt hat mich persönlich das Kapitel "Technisierte Gehirne", in dem er unter anderem darlegt, dass auch in der Forschung oft längst nicht so heiß gegessen wird wie gekocht, und manch vollmundige Ankündigung über wissenschaftliche Vorhaben wenig mit der Realität gemein hat. Das vermessene Vorhaben eines Kwabena Boahen von der Stanford University ein Gehirn als "Hardware aus Silizium" nachbauen zu wollen, entlarvt er etwa als schlicht ungangbar – zumindest nach dem heutigen Stand der Forschung.

Vaas unterstreicht seine Ausführungen mit zahlreichen Zitaten von Wissenschaftlern, Ethikern und Philosophen und gibt gerade dadurch einen sehr authentischen Einblick in das weit verzweigte Feld der Neuroforschung und die davon betroffenen Felder. Zudem fährt er einiges an Abbildungen auf – mal erklärend, mal illustrierend, wobei ich zugeben muss, dass ich das eine oder andere Foto lieber nicht gesehen hätte: Der Affe, dessen Kopf auf den Körper eines anderen verpflanzt wurde, gehört für mich ganz klar ins Genre "Horror" – und Bücher aus dieser Sparte lese ich nie, wirklich gar nie!­

Doch abgesehen von diesem kleinen ästhetischen Patzer (und vielleicht ein paar zu vielen Kommentaren in Klammern) lautet mein Fazit: Rüdiger Vaas’ Buch ist rundrum gelungen und braucht sich auch nach mehr als zwei Jahren auf dem Markt noch lange nicht zu verstecken. Und es ist dank leicht verständlicher und lockerer Sprache – der Autor ist schließlich Journalist – sogar Badeseetauglich! 

 

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Die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben, aber was sagt eigentlich die Wissenschaft dazu? Einst Biologin, heute freie Journalistin, gehe ich hier dieser Frage nach – in Deutschland und dem Rest der Welt. Denn wenn ich nicht gerade arbeite, bin ich am liebsten in meinem blauen Mercedes 508D unterwegs... wer mehr darüber wissen will: Unter www.team-ferdinand.de blogge ich Geschichten von unterwegs. Stefanie Reinberger

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