Koch-Mehrin im Buchhaltertest

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… aber nicht einfacher
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alt Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, ein Politiker sei beim Bilanzfälschen erwischt worden. Ein nicht unwesentlicher Eurobetrag ist durch den Bilanzfehler in die Tasche des betreffenden Politikers gewandert; das hat jetzt jemand herausgefunden und öffentlich angeprangert. Nach einer Weile tritt der Politiker von wichtigen Parteiämtern zurück, natürlich nicht als Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens, sondern nur, damit die Buchprüfer, welche die Bilanz jetzt unter die Lupe nehmen, nicht durch den Umstand beeinflusst werden, dass sie da eine mit so wichtigen Parteiämtern ausgestattete Persönlichkeit auf dem Kieker haben. Das Parlamentsmandat behält der Politiker übrigens bei. Die Parteiführung schweigt zu der ganzen Affäre, denn natürlich wissen alle: Bilanzfälschen ist gar nicht so wichtig, und solch exotisches Fehlverhalten interessiert die Öffentlichkeit sowieso nicht so sehr. So etwas kann man aussitzen.

alt Der ertappte Politiker schießt nach einer Weile sogar zurück: Die Bilanz sei schließlich bei einer früheren Prüfung akzeptiert worden; das bedeute doch wohl, dass die Prüfer die Unterschlagung damals schon erkannt, akzeptiert und damit legalisiert hätten! Parteifreunde springen ihm bei: Es sei unsäglich, mit welcher Heftigkeit die Öffentlichkeit auf Buchhalter losgehe, die doch bloß ein wenig gemauschelt hätten. Ein anderer, ebenfalls in einem konkreten Fall der Bilanzfälschung verdächtigt, weiss, dass es hier gar nicht um Unterschlagung und ähnliche Nebensächlichkeiten geht, sondern nur um Politik: Offenbar machten Buchprüfer hier Jagd auf Politiker bestimmter Couleur.

Dann bekommt der ertappte Bilanzfälscher im Parlament schnell noch ein neues Amt: Er wird Mitglied des Rechnungshof-Ausschusses und ist damit in Zukunft unter anderem für Regelungen zum Aufstellen von Bilanzen und der Bekämpfung von Korruption unter Buchhaltern zuständig. 


Das war Silvana Koch-Mehrin im Buchhaltertest, einem Gedankenexperiment, mit dem sich ziemlich schnell herausfinden lässt, wer die Frage nach Ehrlichkeit in der Wissenschaft in den vergangenen und laufenden Plagiatsdiskussionen ernst nimmt und wer nicht. Ein zum Plagiatsfall vorgebrachtes Argument, das im Buchhaltertest nur noch absurd wirkt, zeigt deutlich: da wird die Plagiatsaffäre als nebensächlich oder als Kavaliersdelikt gesehen.

Nachdem die Guttenberg-Affäre ihren Lauf genommen hatte, der Rücktritt – wenn auch etwas trotzig – erfolgt war, und die Universität Bayreuth die klare Aussage getroffen hatte, dass die Sachlage keinen anderen Schluss zulasse, als dass Guttenberg vorsätzlich getäuscht habe, war ich noch optimistisch gewesen. Alles gegeneinander abgewogen, dachte ich, hat die Affäre dem Wissenschaftsbetrieb doch mehr genützt als geschadet: Die Professoren und Dozenten sind wieder etwas weiter wachgerüttelt und schauen in Zukunft genauer hin, ob da nicht doch ein Plagiat lauert; Universitäten überlegen sich systematischere Kontrollen; diejenigen (ich denke nach wie vor: wenigen) Doktoranden, die in Versuchung gewesen sein mögen, überlegen sich zweimal, ob sie das Risiko eingehen.

Sicher, es hatte noch ein paar Rückzugsgefechte gegeben. Dass Seehofer kurz nach dem Rücktritt Guttenbergs über Anette Schavan poltern zu müssen meinte, weil die nach anfänglichem Lavieren in der Guttenberg-Affäre dann doch ihrem wissenschaftlichen Gewissen Ausdruck verliehen hatte, konnte nichts an der Tatsache ändern: Die Rechnung der Abwiegler, die versucht hatten, zu Guttenbergs Verteidigung die Wichtigkeit wissenschaftlicher Integrität herunterzuspielen (salopp: “ist ja nicht so wichtig, ist ja nur Wissenschaft”), war nicht aufgegangen. Im Gegenteil.

Ich war deswegen drauf und dran, meinen Buchhaltertest wieder einzumotten. Aber das war offenbar verfrüht. Warum läuft die Koch-Mehrin-Affäre so, wie sie läuft? Schweigen der Parteiführung, trotzige Gegenangriffe gegen die Universität, und jetzt die Berufung Koch-Mehrins in einen u.a. für Wissenschaft zuständigen Ausschuss des EU-Parlaments?  Hat die Guttenberg-Affäre tatsächlich zu Ermüdungserscheinungen geführt, wie Anatol vermutet? Entweder das, oder eine Reihe wichtiger Politiker (u.a. die FDP-Oberen) meinen tatsächlich, es sei bei Guttenberg vornehmlich darum gegangen, einen vielversprechenden Senkrechtstarter aus politischen Gründen abzuschießen – und nicht darum, dass sich zehntausende von Wissenschaftlern ziemlich vor den Kopf gestoßen fühlten, weil sich eine Reihe von Guttenberg-Verteidigern eifrig bemühten, wissenschaftliches Fehlverhalten zur Lappalie kleinzureden.

Ich bin immer etwas skeptisch bei Petitionen, demonstrativ-öffentlichen Äußerungen und dergleichen. Aber ich glaube, es ist wichtig, gegen falsche Signale wie die Aufnahme von Koch-Mehrin in den EU-Parlamentsausschuss für Industrie, Forschung und Energie (als Vollmitglied; zuvor war sie stellvertretendes Mitglied) zu protestieren. Wer das auch so sieht, findet hier die Online-Petition, die Anatol Stefanowitsch initiiert hat.

Rückblickend war mein Guttenberg-Blogbeitrag zu pessimistisch. Ich hoffe, dieser Beitrag hier ist das auch.

 

 


Nachtrag vom 24.6.2011: Weitere Blogbeiträge zu Koch-Mehrin bzw. verwandten Fragen auf den SciLogs und anderswo:

Den Bock zum Gärtner machen

Es wird immer besser

Verantwortlich, aber nicht haftbar

Das Ende der Lügen

Der Koch-Mehrin Bock im EU Wissenschaftsgarten und warum ich das Internet liebe

Plagiatorin Koch-Mehrin wird Mitglied im Forschungsauschuss

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. ist mir etwas entgangen?

    Nach der Lektüre all der teils hoch interessanten, originellen und zu recht empörten Beiträge zur Causa SKM vermisse ich einen kritischen Beitrag zu einem akademischen System in dem eine Titelvergabe aufgrund von Vorschußvertrauen oder mangelnder Sorgfalt gang und gebe ist.

    Infolgedessen kann sich manch einer, der sich so richtig reinhängt ggf. zu recht verarscht fühlen.

    Aus meiner eigenen Studienzeit (Wirtschaftsiformatik in Karlsruhe) sind mir folgende Dinge im Gedächtnis geblieben: Bei meiner Studienarbeit sagte mein Betreuer anfangs zu mir: Du musst einen dicken Stoß Papier vorlegen, je dicker, desto besser wird die Note. Was drinsteht ist weniger wichtig, abgesehen von Einleitung Zusammenfassung. Ganz toll, hat mich unheimlich zum wissenschaftlichen Arbeiten motiviert. Dabei hatte ich mir ein interessantes Thema ausgewählt und schon einige Ideen im Kopf.

    Bei der Diplomarbeit lief es etwas besser. Ich habe viel Arbeit und Zeit investiert, Betreuer und Prof. waren tatsächlich in dem Thema interessiert und das ganze hat mir auch Spaß gemacht, hab selber davon profitiert. Aber es ist auch ne Menge Zeit liegengeblieben und im Nachhinein dachte ich mir: Ist es nicht schlauer nur auf den Titel zu arbeiten, mit möglichst wenig Aufwand durchzurutschen, dabei muss man ja nicht mal copy paste anwenden, man muss sich nur das richtige Thema, den richtigen Lehrstuhl raussuchen (ob es einen persönlich interessiert ist Nebensache) und das dünne Brett dann einfach sauber ausbohren.

  2. Politiker überstehen alle Tests

    Nun, wieso sollte jemand wie im Gedankenexperiment am “Buchhaltertest” scheitern? Bei einem gewissen Herrn Schäuble sind im Zuge einer Spendenaffäre ja auch 100.000 DM aufgetaucht und er konnte sich nicht mal erinnern, wo die herkamen. Nanu, sowas! Hat es seiner politischen Karriere am Ende geschadet? Überhaupt nicht.

  3. Manchmal

    wundere ich mich wirklich nicht mehr über die so genannte Politikerverdrossenheit. Wer so dreist seine Dissertation zusammenkopiert, der darf doch nicht wirklich dafür auch noch quasi mit einem Amt belohnt werden, oder? Muss eigentlich immer wieder der Ehrliche auch der Dumme sein?

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