Der Knochen im Weltraum (Science Fiction I)

BLOG: MATHEMATIK IM ALLTAG

Notizen über alles und nichts, von Günter M. Ziegler
MATHEMATIK IM ALLTAG
Wissenschaftkommunikation lebt von Bildern – Science Fiction liefert Bilder. Da bietet sich also eine kreative Zusammenarbeit an. Visionen dafür gibt es zuhauf; eine davon, "der Knochen im Weltraum", könnte 2009 Wirklichheit werden. 
Im Jahr 1968, also vor genau 40 Jahren, kam 2001 – Odyssee im Weltraum in die Kinos, ein Science Fiction Film von Stanley Kubrick (Spartacus, Dr. Strangelove, Full Metal Jacket, …, Eyes Wide Shut) – und ohne Zweifel schon lange ein "Klassiker". Das Drehbuch zu 2001 stammt aus einer Zusammenarbeit mit Arthur C. Clarke, einem britischen Science Fiction-Autor und Visionär mit Mathematik- und Physikstudium, der 1945 die geostationären Kommunikationssatelliten erfunden hat, und im März dieses Jahres 90-jährig verstorben ist, und dessen letzter Roman, The Last Theorem, gerade erschienen ist.

Der Film hat viele interessante Aspekte, von der Tricktechnik bis zur Musik, er enthält insbesondere aber auch "einen der irrwitzigsten Schnitte der Filmgeschichte": so steht es auf der DVD-Hülle, also muss es stimmen.

Der Knochen aus Da hat ein Frühmensch gerade entdeckt, dass man mit einem Knochen wunderbar Artgenossen erschlagen kann, was man kulturpessimistisch leichtfertig als Moment der Menschwerdung interpretieren könnte. Er schleudert diesen Knochen, die Mordwaffe, in die Höhe – und dann kommt der Schnitt auf eine futuristische Raumstation, die schwerelos und still am schwarzen Himmel steht. Arthur C. Clarke nennt das den "three million year cut".
Liegt es nicht nahe, den Science Fiction Knochen aus 2001 mit dem Ishango-Knochen zu identifizieren, der im Naturhistorischen Museum in Brüssel verwahrt wird? Dieser kleine Knochen, in den Fünfziger Jahren in Zentralafrika gefunden, ist ca. 22000 Jahre alt.  

Das ist ein kleiner, 10 Zentimeter langer, versteinerter Knochen, der um 1960 in Zentralafrika gefunden wurde, am Ishango-See, der im Kongo an der Grenze zu Uganda liegt, und heute im Naturhistorischen Museum in Brüssel verwahrt wird. Unser Photo (von Patrick Semal; Copyright: Royal Belgian Institute of natural Sciences) zeigt vier Ansichten des Knochens.
 

The Ishango bone (Four views: photo by Patrick Semal; copyright = Royal Belgian Institute of natural Sciences)Der Ishango-Knochen hat Kerbungen, in kleinen Gruppen, die in drei Reihen angeordnet sind. In einer der drei Reihen finden sich Gruppen mit 9, 11, 19 und 21 Kerben (insgesamt also 60 Kerben), in einer anderen Reihe 11, 13, 17 und 19 Kerben – das sind die Primzahlen zwischen zehn und zwanzig, wieder mit Summe 60. Vermutlich sind das nur zufällig Primzahlen – aber auf jeden Fall sind es absichtlich Zahlen, die etwas bedeuten. Was sie bedeuten, ist Gegenstand interessanter und umfangreicher Debatten. Aber auch wenn das letztlich nicht zu klären ist: Offenbar hat da zu Zeiten, als die Eingeborenen am Ishango-See wohl noch keine Schrift hatten, ja lange vor den Anfängen von Schrift überhaupt, jemand mit Zahlen gespielt, und er – oder sie – ist auf Primzahlen gestoßen, die Atome der Arithmetik! Damit ist der Ishango-Knochen das älteste Zeugnis mathematischer Kultur, das wir kennen. 

Im Jahr 1996 hat der belgische Mathematiker Dirk Huylebrouck vorgeschlagen, den Ishangoknochen (oder eine Kopie davon) in den Weltraum zu transportieren. Er soll schwerelos im Raum schweben – als Reverenz an "2001", aber auch um sichtbar(!) den Bogen zu spannen von den Anfängen der menschlichen Kultur zu Raumfahrt und Science Fiction. Die Idee hätte schon 1995 fast mal realisiert werden können, jetzt gibt es einen neuen Anlauf und vielleicht eine Chance: der Belgische Astronaut Frank De Winne könnte 2009 den Ishango-Knochen mit an die ISS nehmen – welch ein Bild, welch eine Vision für das Internationale Jahr der Astronomie 2009!

Veröffentlicht von

Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, Leiter des “Medienbüros” der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Aktivist, Kommunikator, Sekttrinker, Gelegenheitsblogger, Kolumnist und Buch-Autor: "Darf ich Zahlen?" und "Mathematik - Das ist doch keine Kunst!".

4 Kommentare

  1. Ein sehr interessanter Beitrag. Leider sind wir auf unsere Interpretationskünste angewiesen, wenn es darum geht, zu welchem Zweck diese Zahlen da eingeritzt worden sind, falls es nicht sogar noch andere Ursachen hat. Es wird uns wohl verborgen bleiben. Aber den Knochen mit ins Weltall nehmen, das ist schon eine schräge Idee. Wer weiß, vielleicht ist das auch eine alte Antenne von Außerirdischen, die in der Erdatmosphäre nicht funktioniert? 😉

  2. Symbolik

    Das wäre wirklich ein sehr schönes Symbol, den Knochen auf die ISS mitzunehmen, sowohl als kleine Geste des Respekts an die Science Fiction, die ja viele Wissenschaftler, Techniker und sicherlich auch Astronauten erst an diesem Gebiet interessiert hat und somit ein meiner Meinung nach nicht zu vernachlässigender Faktor ist, der zum Fortschritt auf diesem Gebiet beiträgt. Andererseits auch für den schon in diesem Artikel erwähnten Bogen, der den Fortschritt der Menschheit symbolisiert.
    Hoffentlich klappt es 2009!

Schreibe einen Kommentar