Michael Pauen: Streit zwischen den Kulturen? Nur zu!

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Salon der zwei Kulturen
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Philosophie und Hirnforschung, das ist schon eine exklusive Mischung. Und eine explosive, denn hier geht’s ans Eingemachte, an das, was "den Menschen ausmacht": Bewusstsein, Identität, Freiheit… Zum Zusammenhang von Neuroforschung und Philosophie hat mein heutiger Gast, Michael Pauen, 2007 ein wunderbares Buch veröffentlicht: Was ist der Mensch? Die Entdeckung der Natur des Geistes (DVA). Herr Pauen ist Professor für Philosophie des Geistes an der Humboldt-Universität Berlin und Sprecher der Berlin School of Mind and Brain. In dieser von der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder geförderten Einrichtung forschen Mediziner, Biologen, Psychologen und Vertreter weiterer Disziplinen gemeinsam – eine interdisziplinäre Denkwerkstatt par excellence. In der Guten Stube macht sich Professor Pauen dafür stark, nicht über die Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu lamentieren, sondern sie als Möglichkeit fruchtbarer gegenseitiger Kritik zu nutzen. Ich freue mich sehr über Ihren Besuch, Herr Pauen!

Prof. Dr. Michael PauenStreit zwischen den Kulturen? Nur zu!

Das Verhältnis zwischen Geistes- und Naturwissenschaften gleicht dem zweier alter Ehepartner, die sich nicht richtig vertragen, aber auch nicht voneinander lassen können. Mal hat der eine Oberwasser, mal der andere, doch beide sind aufeinander angewiesen und Spannungen stehen nicht nur der Harmonie im Wege, sondern halten die Beziehung auch lebendig – selbst wenn diese Art von Leben nicht jedermanns Sache sein mag.

Tatsächlich gibt es den Dissens zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, seit es ein Bewusstsein für den Unterschied zwischen diesen beiden Kulturen gibt. Und warum auch nicht? Der Dissens hält das Wissen um die Besonderheiten, aber auch um die Stärken des jeweils eigenen Ansatzes wach. Die Befürchtung, eine Seite könne die andere verdrängen, mag zur Dramaturgie öffentlich inszenierter Showdowns gehören – von der Sache her ist sie unbegründet.

Gute StubeLetztlich sind nämlich beide Kulturen aufeinander angewiesen: Geisteswissenschaftliche Forschung würde ein wesentliches Korrektiv, aber auch wichtige Anregungen verlieren, gäbe es nicht die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und deren weit entwickeltes Methodenbewusstsein. Keineswegs müssen Philosophen, Historiker oder Literaturwissenschaftler deshalb in Sack und Asche gehen – selbst wenn man sich nicht auf die ebenso beliebte wie nichtssagende Formel vom besonderen "Reflexionspotential" der Geisteswissenschaften berufen will. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von wichtigen Fragen, bei denen naturwissenschaftliche Ansätze nicht weiterführen. Auch die interessantesten empirischen Erkenntnisse nützen wenig, wenn man sich nicht darüber zu verständigen weiß, welchen Sinn ihre Anwendung haben soll, welche sozialen Konsequenzen von ihnen zu erwarten sind und welche ethischen Probleme sie aufwerfen – alles Fragen, die nicht mit neuen Experimenten, sondern nur mit den Methoden der Geisteswissenschaften zu beantworten sind.

Geistes- und Naturwissenschaften mögen aufeinander angewiesen sein – doch ist es wirklich realistisch anzunehmen, dass hier auch eine echte Kooperation möglich ist? Vor allem zwischen Hirnforschung und Philosophie hat in den letzten Jahren eine rege Zusammenarbeit eingesetzt, die mittlerweile an vielen Orten schon in gemeinsamen Studiengängen oder Graduiertenschulen institutionalisiert ist. Während Hirnforscher dank neuer Verfahren begonnen haben, sich mit traditionell geisteswissenschaftlichen Themen wie dem Bewusstsein, dem Selbstbewusstsein oder der Willensfreiheit zu befassen, machen sich Philosophen daran, neurowissenschaftliche Erkenntnisse in die Lösung genuin philosophischer Probleme einzubeziehen. Auch die Aussichten für eine weitere Kooperation scheinen recht gut zu sein. Die Spannung zwischen den beiden Kulturen ist dabei kein Hindernis, sondern geradezu eine Bedingung für eine fruchtbare Kooperation – vorausgesetzt natürlich, es gelingt, eine gemeinsame Sprache zu finden, doch das sollte prinzipiell möglich sein.

 


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Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

4 Kommentare

  1. Es muss ja nicht mal dauerhafte Kooperation sein – das prinzipielle Bewusstsein, dass die “andere Seite” Dinge beisteuern kann, die einem selbst nicht zur Verfügung stehen, das ist das Entscheidende.

  2. Was für ein Wissenschaftsverständnis?

    Hintergrund der üblichen Gegenüberstellung von Natur- und Geisteswissenschaften bildet eine seit jeher obsolete, um nicht zu sagen obskure Leib-Seele-Metaphysik vordergründig theologischen Ursprungs. Nur liegen deren Wurzeln im präreligiösen Animismus von Naturvölkern und damit in einer von Phantasie bestimmten Denkweise. Wissenschaftliches Denken sollte dagegen auf methodisch gesicherten Grundlagen beruhen.

    In keiner Zeile der Stellungnahme von Herrn Pauen ist zu erkennen, wie er sich diese vorstellt, ja ob er eine solche selbst ins Auge fasst oder sogar betreibt.

    Leider erwähnt er auch an keiner Stelle folgende beiden Fakten: 1. liegt seit 2003 eine fundamentale Kritik der in der Hirnforschung bis heute üblichen “Sprache” in dem Werk “Philosophical Foundations of Neuroscience” des australischen Neurophysiologen Max Bennett und des Oxforder Philosophen Peter M.S. Hacker vor; und 2. ergänzen deren umfangreiche Klarstellungen auf besonders glückliche Weise die Analysen und Ergebnisse der wissenschaftstheoretischen Überlegungen des Essener Philosophen Dirk Hartmann in seinem Werk “Philosophische Grundlagen der Psychologie von 1998.

    Wissenschaftliche Vorarbeiten zur Verständigung von Wissenschaftlern unterschiedlichster Ausbildung liegen damit seit Jahren bereits vor, in Deutschland seit bald einem Jahrzehnt.

  3. aufeinander angewiesen……

    “Letztlich sind nämlich beide Kulturen aufeinander angewiesen: Geisteswissenschaftliche Forschung würde ein wesentliches Korrektiv, aber auch wichtige Anregungen verlieren, gäbe es nicht die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und deren weit entwickeltes Methodenbewusstsein.”

    aber auch umgekehrt im Sinne von:

    “Neurowissenschaftliche Forschung würde ein wesentliches Korrektiv, aber auch wichtige Anregungen verlieren, gäbe es nicht den philosophischen + geisteswissenschaftlichen “Überblick” und dessen weiter gefasstes “Denkinstrumentarium”.
    …..
    im Sinne von
    Nanoperspektive + Mikroperspektive + Makroperspektive…..

    “Def.Mikroperspektive” z.B. Forschungsergebnisse, Theorien und Erkenntnisse aus der Psychologie und Soziologie).

    “Def. Makroperspektive” z.B. nicht durch Forschung fassbare Phänomene, gedankliche Durchdringung der multifaktoriellen Bedingtheit aller Lebenserscheinungen….

    Vielleicht können wir unsere Erkenntnisse damit auf den “ganzen Elefanten” (gem. dem Gleichnis von Hampden-Turner)ausweiten. (=> http://www.neuropaedagogik.de/html/forschung.html)

    um letztendlich im Dilemma der “Erste-versus-Dritte-Person-Perspektive” zu landen…..

  4. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit! Da scheint sich ja ein ganzes Universum neuer Fragen und Antworten aufzutun. Seit ich ein Buch von Gerhard Roth gelesen habe, finde ich diese neuen Erkenntnisse der Hirnforschung äußerst spannend.

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