Das schrägste Nobelpreisträger-Interview aller Zeiten (3/3)

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Salon der zwei Kulturen
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Ob sie planten, irgendwann im Laufe ihrer Karriere wieder dauerhaft in ihre Heimatländer zurückzukehren, fragte Chemie-Nobelpreisträger Aaron Cichanover die Doktoranden und Postdocs im Rahmen des wohl ungewöhnlichsten Nobelpreisträger-Interviews aller Zeiten. Er selbst habe früher deutlich bessere Angebote von US-Elitehochschulen ausgeschlagen, um wieder in Israel zu arbeiten, fügte er hinzu. Aktuell belaste der Braindrain von Toptalenten vor allem die Länder Afrikas. „Wir alle sollten versuchen, die Welt weiter zu entwickeln“, so Ciechanover. Auf Inseln der Glückseligkeit zu forschen, während ringsum die Wüste liege, dürfe nicht das Motiv von Wissenschaftlern sein.

Irgendwo dauerhaft Anker zu werfen, sei schon sein Ziel, antwortete der junge türkischstämmige Astrophysiker Baybars Kulebi aus Heidelberg. Als Nachwuchswissenschaftler von einer befristeten Anstellung hier in die andere dort zu wechseln, mache schließlich jeden mit den Jahren heimatlos. Doch in welchem Land genau die dauerhafte Stelle verortet sei, kümmere ihn weniger. Interessant hier die Lebensgeschichte der jungen Russin Inna Pertsovskaya: Um forschen, aber auch leben zu können, unterrichtete sie in ihrer Heimat neben der Promotion vollzeit (!) an einer staatlichen Schule. Derlei Umstände machten es schwierig, dem eigenen Heimatland treu zu bleiben, so Inna. Die Immunologin forscht mittlerweile in Barcelona.

Nobelpreisträger-Tagung Lindau 2010 Laureaten interviewen Doktoranden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Interviewrunde: Am Tischende Adam Rutherford (nature), links im Bild die Nobelpreisträger Kroto, Smoot, Mather, Giaever und Ciechanover (von hinten nach vorn), gegenüber die befragten Nachwuchsforscher. 


„Worüber macht Ihr Euch die größten Sorgen?“
, fragte Physik-Nobelpreisträger George Smoot die Jungwissenschaftler. „Über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft“, antwortete Benyam Kinde, der gerade seinen Bachelor in Biologie an der University of Maryland gemacht hat. Mehr Politiker müssten etwas von Wissenschaft verstehen, dann würden auch bessere Entscheidungen getroffen. Ob denn die Nachwuchsforscher selbst eine Karriere in der Politik in Erwägung ziehen würden, hakte Laureat John C. Mather nach. Betretenes Schweigen. Zumindest habe er früher darüber nachgedacht, so Evans Boney, Doktorand in Chemie am California Institute of Technology.

Doch in der Sache war man sich einig. Die Klimadebatte, so Chemie-Nobelpreisträger Harold Kroto, habe den letzten Beweis dafür geliefert, dass die meisten Politiker nichts von wissenschaftlicher Evidenz verstünden und dass dies womöglich schlimme Folgen habe. Von daher sei der Wunsch nach mehr fachlichem Knowhow in der Politik unbedingt zu unterstützen. Nur wie erreiche man das Ziel? Der beste Weg bestehe sicher darin, kritisches Denken in Schulen und Hochschulen zu fördern, so Chemie-Postdoc Paul Rupar von der University of Bristol. In der Tat machten gerade die Schulen vieles kaputt, bekräftigte Inna Pertsovskaya. Mit 10 Jahren seien die meisten Kinder noch neugierig und würden Dinge hinterfragen, mit 16 nicht mehr – zumindest nicht in ihrer Heimat Russland.

Gegen Ende des Gesprächs kam sogar noch das Thema Blogs auf: In den USA seien schlicht weite Teile der Politik von der Wissenschaft abgekoppelt, klagte Evans Boney. Kein Wunder, so Physik-Nobelpreisträger Ivar Giaever. Mehr als 90 Prozent aller Kongressabgeordneten seien religiös – aber nur 10% der amerikanischen Wissenschaftler. Da wäre Verständigung nicht so leicht. Dennoch könnten Wissenschaftler ihren Einfluss geltend machen, betonte Smoot. Schließlich gebe es das Internet und – Blogs! Einige Wissenschaftler-Blogs hält Smoot für sehr einflussreich in punkto öffentliche Meinungsbildung. Und das nähmen auch Politiker langsam zur Kenntnis. 

Die Abschlussfrage kam noch einmal von Moderator Adam Rutherford: Ob es eigentlich eine Pflicht für Wissenschaftler gebe zu kommunizieren? Für Smoot keine Frage: Wissenschaftler wollten nicht nur forschen, sondern sich auch mitteilen. Giaever sah es meiner Meinung nach realistischer: Unterm Strich würde ihre Forschung von der Gesellschaft finanziert. Daher müsse man ihr als Forscher auch zurückgeben, sprich: kommunizieren.

Gern hätte ich spätestens an dieser Stelle mit diskutiert. Doch das historische Interview war nach 75 Minuten vorbei – und ich ohnehin nur Zaungast. Beim nächsten Lindauer Nobelpreisträger-Meeting gehört das gelungene Format auf die große Bühne!

 

Lesen Sie auch Teil 1 und Teil 2 dieses Beitrags.

 

Linktipp: http://lindau.nature.com

 

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

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