100 Milliarden Euro, konservativ geschätzt

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Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Nein, das ist nicht die Höhe eines europäischen Rettungsplans zur Behebung der aktuellen Finanzkrise. Das ist der aufsummierte Kapitalstock sämtlicher deutschen Stiftungen.

Stiftungen sind zweckgebunden. 13% aller deutschen Stiftungen haben sich der Förderung von Forschung und Wissenschaft verschrieben, weitere 15% dem Bereich Bildung und Erziehung.[1] Der mit Abstand größte Wissenschaftsförderer in Deutschland ist zwar der Staat. Doch wo er nicht aktiv werden kann oder will, treten immer häufiger Stiftungen in Erscheinung, an Tagen wie diesem auch ins Rampenlicht.

Vorhin war ich mit anderen Journalisten zu Gast beim Bundesverband Deutscher Stiftungen. Diese Dachorganisation hat ihren Sitz in Berlin; heute jedoch lud sie in die Räume der Klaus Tschira Stiftung, welche in der ehemaligen Villa des Chemikers Carl Bosch idyllisch gelegen hoch über dem Heidelberger Neckar residiert.

Wer als Privatfrau oder -mann Mittel zur Verfügung hat, ein soziales, kulturelles oder eben auch wissenschaftliches Ziel zu unterstützen, kann dies prinzipiell auf dreierlei Weise tun: sponsorn, spenden oder stiften. Sponsoring ist eine Geldzuwendung mit Gegenleistung und steuerlich nicht begünstigt. Hier betätigen sich typischerweise auch eher Unternehmen, die für Logo-Platzierung oder Namensnennung Geld oder auch Sachzuwendungen geben. Wer spendet, gibt Geld ohne Gegenleistung (und ohne vertragliche Basis). Sofern das Kriterium der Gemeinnützigkeit erfüllt ist, wird der Spender steuerlich begünstigt. Stiften schließlich ist eine Zuwendung zu einem Kapitalstock, der selbst nicht verbraucht werden darf (juristisch: Gebot der Substanzerhaltung). Die guten Werke werden dann aus den Erträgen finanziert, die aus dem Kapital fließen, typischerweise Zinsen und Dividenden.

Was Tante Elli gegen Jahresende täglich beim Öffnen des Briefkastens ahnt:
Spenden werden zum größten Teil im November und Dezember eingeworben. Denn wenn es draußen unwirtlich ist, Weihnachten naht und sich das Jahr zu Ende neigt, sind wir leichter anzuzapfen. Von Tsunami-Peaks abgesehen, ist die Spendenbereitschaft der Deutschen dabei über die Jahre auf hohem Niveau im Wesentlichen konstant.

Anders die Entwicklung bei den Stiftungen, die – da sich ihr Kapital ja nicht aufbraucht – durch Zu- und Neustiftungen immer mehr Potenzial entwickeln und, bei cleverem Einsatz dieser Ressourcen, im Schnitt jährlich immer mehr Geld für die Realisierung ihrer diversen Ziele in den Händen halten.

Interessant fand ich: Obwohl langfristig und auf Nachhaltigkeit angelegt, verschieben sich die Zwecke der Neustiftungen immer mehr hin zu aktuellen Herausforderungen, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden. So der Generalsekretär des Bundesverbands, Dr. Hans Fleisch, heute in der Villa Bosch.

Wie wird man also Stifter? „Aus dem Leben heraus“, erklärte der Chemiker und Unternehmer Rainer Wild (u.a. „Capri-Sonne“). Die Stiftung, die seinen Namen trägt, hat u.a. „Anstöße“ dazu gegeben, dass an der Universität Heidelberg das Fach Naturstoff-Chemie wiederbelebt wurde. Wild hatte es dort selbst einst studiert. Dietmar Hopp, einer von vier SAP-Gründern und ebenfalls zugegen heute Nachmittag, hat mit seiner Stiftung seit 1995 Projekte im Umfang von 190 Mio. Euro gefördert. Allein fast 50 Mio. ließ er den Unikliniken Heidelberg und Mannheim zukommen, u.a. für den Kampf gegen Kinderkrebs. Bekannter ist Hopp freilich für sein Engagement in der Sportförderung. Auch als Zustifter hat er sich schon betätigt, etwa für die Nathalie-Todenhöfer-Stiftung, die Hilfe für Multiple Sklerose-Betroffene anbietet. Die 23-jährige Stifterin ist selbst erkrankt und verfügte anfangs nicht über ausreichende Mittel, ihre Ziele zu realisieren.

Auch der heutige Gastgeber
Klaus Tschira, ebenfalls SAP-Gründer, verwirklicht mit seiner Stiftung nicht zuletzt persönliche Herzensanliegen. Seine Stiftung, in die er „die größere Hälfte meines Vermögens“ gesteckt hat, fördert kleine und große Projekte im Bereich Naturwissenschaft, Mathematik und Informatik. Was ich persönlich sehr nachahmenswert finde: Auch die Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen und das Verständnis für Wissenschaft bleiben dabei nicht außen vor. Dazu fördert Tschira einerseits etwa durch Medientrainings die kommunikativen Fähigkeiten von Forschern. Andererseits bringt seine Stiftung Menschen aller Couleur und Altersstufen mit Wissenschaft in Berührung: So informierten sich bei der dritten Auflage von Explore Science für Schüler im Mannheimer Luisenpark in diesem Sommer 20.000 Besucher über Astronomie. Bis in die Kindergärten trägt Tschira seinen Enthusiasmus für Naturphänomene und Experimente.

Das Engagement macht dem Physiker, der ursprünglich mit einer Forscherkarriere liebäugelte, sichtlich Freude – fast meine ich, seinen Nucleus accumbens feuern zu sehen, wenn er mit verschmitztem Lächeln sagt: „Als SAP-Vorstand musste ich immer so viel telefonieren und ständig Leute trösten.“ Nun könne er endlich machen, was „richtig Spaß“ bereite.

Hoffen wir für die Wissenschaft,
dass nicht die gegenwärtige Finanzkrise die gute Laune trübt. Die meisten Stiftungen haben nur einen geringen Teil ihres Kapitals in Aktien angelegt. Doch wie bei Hopp besteht bei Tschira das Stiftungskapital wesentlich aus SAP-Aktien, deren Dividende das nötige Kleingeld für die umfangreiche Projektförderung abwirft. Bislang haben die Aktien des Softwarekonzerns die aktuellen Turbulenzen an den Börsen unbeschadet überstanden. Doch Hopp ist Realist genug, den Tag nicht vor dem Abend zu loben: „Wenn sich die jetzigen Anzeichen bewahrheiten, könnten wir Rezession und Inflation erleben. Und dann werden sich auch unsere Aktien dem Sog nicht entziehen.“

Womit wir am Ende doch bei der Krise gelandet wären.


[1] Daneben sind soziale Zwecke (32%), Kunst und Kultur (15%) und Umweltschutz (4%) die wichtigsten Stiftungsziele in Deutschland. (Quelle: Verzeichnis deutscher Stiftungen 2008.)

 

 

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

12 Kommentare

  1. Schlimm, wenn ein Schicksalsschlag wie eine Erkrankung zu einer Stiftungsgründung führt. (Da haben Tschira, Wild und Hopp es besser gehabt.) Eine weitere solche Stiftung ist die Gabriele Siegel Stiftung. Sie trägt den Namen nach einem Schlaganfall-Opfer. Ihr Mann, also der Witwer, macht heute die Stiftung – für Schlaganfall-Opfer natürlich.

  2. Die Finanzkrise zieht weite Kreise. Die Evangelisch-Lutherische Kirche Oldenburg hat 4,3 Millionen Euro (Rücklagen) bei Lehman Brothers angelegt. Das Geld ist erstmal futsch. Vielleicht bekommen sie ja noch etwas wieder.

  3. Jaja, die Kirchen… Dafür gehören ihre Stiftungen mit zu den ältesten überhaupt. In Deutschland gibt es mehr als 1000 Jahre alte, berichtete am Dienstag Herr Fleisch vom Bundesverband.

  4. Der Westen geht stiften, der Osten nicht

    Auch das ist interessant: Von 2004 bis 2007 wurden in den alten Bundesländern 1059 neue Stiftungen gegründet, in den neuen Bundesländern nur 75.

  5. Das ist richtig. Aber der Unterschied ist schon krass. Ich denke, das dahinter neben den klar begrenzteren finanziellen Möglichkeiten auch ein “ererbtes” Mentalitätsphänomen verborgen ist: Der Staat hat zu sorgen!

  6. Danke für den schönen Blog. Eine Ergänzung zum Thema Stiftungen und Wissenschaft: Es gibt sogar ganze Universitäten, die in Stiftungen umgewandelt wurden, nachdem sie schon Jahrhunderte existierten, z.B. die Uni Göttingen, seit 2003 eine Stiftungsuniversität.

  7. Mentalität

    Hm, bei den “normalen” Leuten kann es schon sein, daß die nach jahrzentelanger DDR Diktatur eine andere Mentalität haben. Aber so Menschen vom Typ Unternehmer, die dürften so eine Mentalität nicht haben. Oder sie sind nicht so freigiebig und denken eher nur an sich und Angehörige?

  8. Keine Ahnung. Wirkt sich im Alltag der Studierenden nicht aus, glaube ich. Also ich jedenfalls merke davon jedenfalls nicht.

  9. @Huhn

    Angehörige sind schon ein Thema für Stifter. Jedenfalls sagte Dietmar Hopp am Dienstag, es sei mit seinen 2 Söhnen abgesprochen, dass sie die Stiftung nach seinem Tode weiter führen. Und Klaus Tschira ergänzte, dass er hoffe, auch einer seiner beiden Söhne würde sich der KTS weiter verpflichtet fühlen. Rainer Wild hat selbst keine Kinder – aber verfügt, dass im Verwaltungsrat (oder hieß es Kuratorium? – egal) seiner Stiftung auch immer ein Verwandter sitzen solle, um darüber zu wachen, dass im Sinne des Stifters weiter verfahren wird mit den Geldern. Interessant dabei: Als die Frage aufkam, wie die Stiftungen denn wohl in 500 Jahren gemanagt werden, waren sich die 3 Stifter darin einig, dass sie sich das gar nicht vorstellen wollen und es ihnen insofern egal sei, wie “ihr” Geld in so ferner Zukunft verwendet würde.

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