Chemikalien gegen die Ölpest – Die Katastrophe in der Katastrophe

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Nun wissen wir also, wo das ganze Öl aus der leckgeschlagenen Deepwater-Horizon-Quelle im Golf von Mexiko geblieben ist: Statt an die Oberfläche zu steigen, sammelt es sich als Emulsion in wahrhaft gigantischen Giftwolken tief im Meer, wo es den verfügbaren Sauerstoff aufzehrt und ein Vielfaches mehr Schaden anrichtet als es ein Ölfilm auf dem Wasser je könnte. Das Desaster im Desaster ist natürlich menschengemacht, und zwar durch den unsachgemäßen Einsatz großer Mengen Dispergiermittel zur Ölbekämpfung.

Diese Chemikalien gehören seit Jahrzehnten zu den Standardwaffen gegen Ölverschmutzungen. Sie sind eine sehr effektive Methode, großflächig auch fein verteiltes Öl von der Oberfläche zu entfernen und es auf hoher See in kleine Tropfen zu zerteilen, die für Vögel und Säugetiere weniger gefährlich und außerdem leichter abbaubar sind. Allerdings sind diese Dispergiermittel ursprünglich dafür gemacht, begrenzte Ölmengen an der Wasseroberfläche zu verteilen und unschädlich zu machen. BP hat jedoch große Mengen dieser Chemikalien direkt in das leckgeschlagene Förderrohr am 1500 Meter tiefen Meeresboden injiziert.

Die Idee hinter der Chemie-Strategie ist der Natur entlehnt: Bei jeder Ölpest wird ein Teil des Öls durch Wind und Wellen zu kleinen Tröpfchen zerschlagen. Das ist eine gute Sache, denn diese Tropfen sind für die physikalische Verwitterung und vor allem für Öl abbauende Mikroorganismen wesentlich leichter zugänglich und wird so schneller unschädlich gemacht. Fein verteiltes Öl richtet so deutlich weniger Schaden an als ein zusammenhängender Ölfilm an der Wasseroberfläche oder gar Ölplacken am Strand oder im Meeresboden. Bei den ersten Experimenten in diese Richtung versuchte man das noch mit industriellen Entfettungsmitteln auf Basis aromatischer Kohlenwasserstoffe, die sich schnell als mindestens ebenso giftig erwiesen wie das Öl und oft wohl größeren Schaden anrichteten als das Öl selbst.[1]

Woraus bestehen die Dispergiermittel? (Vorsicht, Nerdcontent)
Moderne Dispergiermittel basieren dagegen auf Wasser oder aliphatischen Kohlenwasserstoffen wie Glycolethern oder Paraffinen, die auch in Kosmetika oder anderen Haushaltsprodukten eingesetzt werden, als Lösungsmitteln. Sie bestehen zu etwa zwei Dritteln aus einer Mischung aus anionischen und nichtionischen Tensiden. Im Grunde sind sie damit handelsüblichem Spülmittel in der Küche gar nicht so unähnlich, ob wohl sie in den eingesetzten Mengen für Meereslebewesen natürlich giftig sind.

Die genaue Zusammensetzung der jeweiligen Formulierungen ist natürlich Geschäftsgeheimnis, aber typische nichtionische Tenside zur Bekämpfung von Ölteppichen sind Sorbitolester langkettiger Fettsäuren, Polyethylenglycolester oder Fettalkoholderivate, anionische Tenside sind Succinylsulfinate, langkettige Alkoholphosphate und auch so Allerweltschemikalien wie Natriumlaurylsulfat, denen sogar Astrophysiker manchmal begegnen.

Die Erfahrung lehrt, dass Mischungen von Tensiden effektiver sind als Einzelsubstanzen. Ein Grund dafür ist die unterschiedliche Löslichkeit der verschiedenen Tenside in Wasser. Die Verbindungen müssen einerseits gut in Wasser löslich sein, damit sie selbst keinen Ölfilm an der Oberfläche bilden, andererseits aber auch so lipophil, dass sie sich bereitwillig an vorbeischwimmende Öltropfen anlagern. Die Löslichkeit wird auf der HLB-Skala (hydrophilic-lipophilic balance) von 1 bis 20 angegeben, und der Idealwert für die Tensidmischungen liegt ungefähr in der Mitte, bei zehn bis elf.

Die Tenside funktionieren wie normale Seife: Sie lagern sich an Grenzflächen an, reduzieren die Oberflächenspannung und sorgen so dafür, dass fettige Substanzen als kleine Tropfen im Wasser verteilt werden. Wie das genau funktioniert habt ihr alle mal in der Schule gelernt. Verglichen mit den frühesten Zubereitungen, die dem Öl im Verhältnis von 1:3 zugesetzt werden mussten, kommt man heute mit wesentlich weniger dieser Chemikalien aus – etwa ein bis fünf Prozent dieser modernen Konzentrate reicht aus, um einen Ölteppich allein durch Wellenwirkung effektiv aufzubrechen.

Wie sollte man Dispergiermittel einsetzen und wie nicht?
Grundsätzlich sind Dispergiermittel eine sinnvolle Option, um ausgelaufenes Öl zu bekämpfen. Sie sind für Meereslebewesen weniger giftig als das Öl selbst und können den Zeitraum, den Ökosysteme toxischen Substanzen ausgesetzt sind, deutlich reduzieren. Allerdings sind diese Chemikalien keine Zaubermittel, durch die eine Ölpest mal eben verschwindet. Ob sie sinnvoll sind, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab und ihr Nutzen will sorgfältig abgewägt sein.

Womit wir beim Problem wären, denn das scheint im Falle der Deepwater-Horizon-Katastrophe nicht geschehen zu sein. Bislang wurden mindestens 500.000 Tonnen Gallons verschiedenster Zubereitungen offenbar panisch im Golf von Mexiko versenkt, ein großer Teil davon in einer Weise, die absolut nicht vorgesehen ist.

Entwickelt wurden die Detergenzien für den gängigen Fall einer begrenzten Menge Öl, die aus einem Tanker ausläuft und dann als Lache an der Wasseroberfläche Richtung Strand schwimmt. In so einer Situation kann man die Dispergiermittel als kleine Tropfen von ungefähr einem halben Millimeter Größe von oben auf den Ölfilm aufbringen. Nach ein paar Stunden hat man statt eines geschlossenen Films direkt an der Oberfläche eine Ansammlung feiner Öltropfen in der oberflächennahen Wasserschicht. Statt wie zuvor auf zwei Dimensionen ist das Öl jetzt in drei Dimensionen verteilt und schon dadurch deutlich verdünnt. Zusätzlich wird es im sauerstoffreichen Wasser wegen seiner großen Oberfläche schnell abgebaut.

Allerdings ist das, was jetzt im Golf von Mexiko schwimmt, alles andere als ein normaler Ölfilm. Er entsteht aus einem Strom Öl und Gas, der durch über einen Kilometer Wassersäule aufgestiegen ist, wenn er die Oberfläche erreicht. Es ist nicht bekannt, wie sich Öl unter solchen Bedingungen verhält. Da das Öl von unten kommt, muss man allerdings davon ausgehen, dass nur ein Teil der ausgelaufenen Menge überhaupt an der Oberfläche ankommt, während beträchtliche Anteile bereits in der Wassersäule gelöst oder dispergiert sind, ganz ohne Detergenzien. Es stellt sich die Frage, ob der Einsatz der Dispergiermittel unter diesen Bedingungen überhaupt noch einen Vorteil bringt. Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, und meine Vermutung ist, dass die ganze Aktion ein Schuss ins Blaue ist, um möglichst viel Öl von der Wasseroberfläche fernzuhalten.

Und der ist wohl grundlegend schiefgegangen. Wenn sich die Ergebnisse der Meeresforscher bewahrheiten, hat der unüberlegte Einsatz der Chemikalien ein neues, viel größeres Problem geschaffen. Indem BP das Dispergiermittel direkt in die aus der Quelle austretende Ölfahne injiziert, zerlegt das Unternehmen das Öl vor Ort in kleine Tropfen, die nicht mehr zur Oberfläche aufsteigen, weil ihnen der Auftrieb fehlt. So bleibt der Ölteppich an der Oberfläche zwar kleiner als er ansonsten wäre. Allerdings ist das Öl damit natürlich nicht weg, im Gegenteil, dank der unüberlegten Aktion treiben jetzt tief unter der Oberfläche hunderte Meter dicke Ölwolken, angereichert mit den toxischen Chemikalien der Dispergiermittel.

Giftwolken tief im Meer
BP freut sich natürlich über jeden Liter Öl, den man an der Oberfläche und damit im Fernsehen nicht sieht, aber insgesamt sind die Ölwolken in hunderten Metern Tiefe ein wesentlich größeres Problem als an der Oberfläche. Im warmen, lichtdurchfluteten und vor allen Dingen nährstoff- und sauerstoffreichen Oberflächenwasser ist selbst die Lebensdauer von Erdöl begrenzt – die flüchtigen Anteile verdunsten und Bakterien und Pilze kriegen auch die schweren Bestandteile des Rohöls klein. In den kalten, dunklen Tiefen des Golfs, in denen Sauerstoffmangel sowieso ein Problem ist, können sich die giftigen Chemikalien praktisch beliebig lange halten. Und nicht nur die Bestandteile des Öls, sondern eben auch die Tensidmischungen.

Damit hat man das ursprüngliche Problem ganz erheblich vergrößert, denn einerseits zeigen viele der Studien, die zu Dispergiermitteln im Labor und im Freiland durchgeführt wurden, dass chemisch dispergiertes Öl deutlich giftiger für Meereslebewesen ist als ein unbehandelter Ölteppich. In den einschlägigen Untersuchungen leiden vor allem Mollusken, die im Golf von Mexiko in Form von Austernbänken eine beträchtliche ökonomische Bedeutung haben, außerdem Riesentang und natürlich, in geringerem Ausmaß, höhere Tiere wie Fische oder Garnelen. Welche Folgen eine Dauerbelastung hat, ist völlig unklar.

Doch das ist nur ein Teil des Problems. Die potentiell viel dramatischere Folge ist, dass Mikroorganismen beim Abbau des Öls den im Tiefenwasser gelösten Sauerstoff aufbrauchen, ohne den die meisten Meerestiere nicht leben können. Und anders als an der Oberfläche kann das Gas so tief im Meer auch nicht so schnell nachgeliefert werden. Mit den Emulsionswolken hat BP tief im Golf von Mexiko gigantische sauerstofffressende und hochgiftige Monster geschaffen, die dort noch jahrelang herumschwimmen und alles Leben vernichten werden, das ihren Pfad kreuzt. Herzlichen Glückwunsch!
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[1] Die ersten Versuche, eine Ölpest mit Chemikalien einzudämmen, gehen auf die Havarie des Tankers Torrey Canyon zurück, der 1967 vor Südengland auf ein Riff lief. Damals wusste man noch nicht so recht, was man mit havarierten Tankern tun sollte und ließ unter anderem – das ist kein Scherz – Marineflieger insgesamt 42 Bomben auf das Schiff abwerfen. Nachdem auch extensiver Einsatz von Napalm nicht verhinderte, dass der Ölteppich knapp 300 Kilometer Küstenlinie verschmutzte, begann die Suche nach Methoden, Ölverschmutzungen aufzulösen. Als erste Maßnahme kippte man damals 10.000 Tonnen benzolische Seifenlösung in den Ärmelkanal. Es waren halt andere Zeiten…

Bildnachweis
Deepwater Horizon in Brand: U.S. Coast Guard
Sprühflugzeug: Australian Maritime Safety Authority
Ölteppich: Wikipedia

6 Kommentare

  1. Dispgeriermittel zur Verschleierung

    “Es waren halt andere Zeiten..”
    oder auch nicht.

    Es erstaunt, dass bei der Vielzahl von Tiefseebohrungen für die Ölgewinnung immer noch Verhältnisse wie zu Pionierzeiten herrschen. Das US-Innenministerium hat ja allein 4000 Lizenzen zum Bohren im Tiefseebereich vor der Küste erteilt (allerdings gibt es erst 30 aktive Bohrungen im tiefen Waaser), die zugehörige Regulation und Notafallplanung scheint es jedoch nicht zu geben.

    Unfälle wie jetzt bei Deepwater-Horizon sollten doch vorbereitend durchgespielt werden und alle Handlungsoptionen evaluiert sein.

    Die Verantwortung für so einen Unfall liegt sicher bei der Firma, die die Bohrung in Auftrag gegeben hat, das heisst aber nicht unbedingt, dass diese Firma schalten und walten kann, wie es ihr beliebt. Bei einem Unfall dieser Grösse sollte schon sehr früh ein staatliches Expertengremium die Leitung übernehmen und im Sinne des Allgemeininteresses handeln, was Symtpomenbekämpfung und manipulatives Vorgehen um rechtliche Auswirkungen zu minimieren, ausschliesst.

    Die US-Bevölkerung scheint in der Mehrheit weitere Tiefseebohrungen zu befürworten – in der Hoffnung, damit die Abhängigkeit von Ölimporten verringern zu können. Das kann man akzeptieren, jedoch nicht zu jedem Preis.

    Dispergiermittel als Verschleierungsmittel – das sollte der US-Staat nicht zulassen.

  2. Oh oh

    Ich hatte nur zu Beginn davon gehört gehabt, dass sie die Dispergiermittel auf der Oberfläche verteilt haben, um zu schauen, ob es auch funktioniert, aber mitten in das Bohrloch? Bei denen muss langsam wirklich die Panik ausbrechen…

  3. Man muss sich mal vorstellen, wie das mit der Ölpest im Meer weitergehen soll. Offenbar sind angesichts der Rückschläge und des Ausmaßes der Ölpest nun auch die Verantwortlichen bei BP – immerhin einer der größten und damit einflussreichsten Konzerne der Welt – verzweifelt. Der Geschäftsführer des Unternehmens, Bob Dudley, räumte am Sonntag ein, dass die Ölpest “katastrophal” sei. Die Frage ist einfach, wann hört das auf und die Frage, die meines Erachtens nie gestellt wird ist, welche Konsequenzen zieht man daraus????????

  4. Ölpest – Sicherheitsmassnahmen

    Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum ein so profitgieriger Konzern keine vorbeugenden Sicherheitsmassnahmen und Notfallpläne für den Fall eines Lecks am Meeresgrund vorbereitet hat. Der finanzielle Verlust durch nicht förderbares Öl und die Kosten für die Beseitigung der durch das Öl verursachten Schäden werden doch extrem hoch, Die langfristigen Folgen für die Natur sind dabei gar nicht absehbar.

    Jede Raffinerie an Land muss umfangreiche Notfallpläne nachweisen, bevor diese in Betrieb gehen darf, und wehe es sind nicht die geplanten Bauteile, wie z.B. Ventile, verbaut.

    Jetzt wird mit für die Umwelt schädlichen Chemikalien aus der Produktion einer Tochterfirma dilettantisch herumexperimentiert. Auch der hektische Bau von monströsen Leckverschluss-Vorrichtungen erscheint keineswegs professionell.

  5. Biostimulation, Bioaugmentation

    BP hat ja in letzter Zeit viele verschiedene Methoden ausprobiert, um den Ölfluss zu stoppen bzw das Öl zu bekämpfen. Bislang waren sie noch nicht erfolgreich, aber, was könnten erfolgreiche Strategien sein? Der Einsatz von Biostimulation, dem Zusatz von Nährstoff und Sauerstoff, damit die Mikroben besser wachsen und somit schneller das Öl abbauen? Oder vielleicht Bioaugmentation, der Zusatz von Mikroben, um die autochthonen Mikroben zu unterstützen? By the way, weiß jemand über welche Mechanismen die Enzyme der Öl-abbauenden Mikroben die Reaktionen katalysieren?

  6. Biologische Maßnahmen

    Ich bin ehrlich gesagt skeptisch, ob man da wirklich etwas erreichen kann, zumal auf den Skalen, die wir hier sehen. Klar, das was auf dem Wasserschwimmt kann man mit Detergenzien und Nährstoffzusätzen schneller plattmachen, aber an das Zeug im Sediment kommt man nicht wirklich ran, und das ist das eigentliche Problem.

    Die Mechanismen… Da muss ich erstmal recherchieren. Gibt aber n ganzen Haufen verschiedener Abbauwege, je nachdem wer da abbaut und zu welchem Zweck.

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