Zink und die Entstehung des Lebens

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Die Kernfrage bei der Entstehung des Lebens ist, welche Energiequelle in frühen Lebensvorstufen die die Reduktion von Kohlendioxid zu organischen Verbindungen angetrieben haben könnte. Ohne Kohlenstofffixierung gäbe es keine komplexen Moleküle, aus denen Leben hätte entstehen können. Obwohl die Sonne die bei weitem stärkste und beständigste Energiequelle auf der Erde ist, spielt ihre Strahlung in den meisten Szenarien zum Ursprung des Lebens keine Rolle. Doch das beginnt sich zu ändern. Armen Mulkidjanian von der Universität Osnabrück hat eine Hypothese vorgestellt, nach der die UV-Strahlung der Sonne die chemische Evolution auf der Erde in Gang gesetzt hat. Erfreulicherweise ist die gesamte Arbeit offen im Internet einsehbar.

Der vorgeschlagene Mechanismus ähnelt sehr entfernt dem, der auch heute noch in den Blättern von Pflanzen abläuft, und wird deswegen abiotische Photosynthese genannt: Ein geeignetes Material nimmt die Energie der Lichtquanten auf und nutzt sie, um aus Kohlendioxid Formaldehyd oder Ameisensäure herzustellen. Man weiß von verschiedenen Mineralien, die als Halbleiter derartige Reaktionen katalysieren können, und Mulkidjanian konzentriert sich auf Zinksulfid.

Zinkblende oder Sphalerit, die häufigste Form des Zinksulfids, reduziert Kohlendioxid unter UV-Licht mit einer Quantenausbeute von bis zu 80%. Das ist ziemlich beeindruckend. Außerdem kann das Zeug, wie Mulkidjanian anmerkt, auch andere Synthesen katalysieren und die entstehenden organische Verbindungen vor UV-Strahlung schützen, indem es die Anregungsenergie schnell und effektiv abführt.

Dieser zweite Punkt ist ganz entscheidend, denn er adressiert den zentralen Grund, weswegen die meisten Forscher die Sonne als Energiequelle für die Entstehung des lebens verworfen haben: Ultraviolette Strahlung liefert nicht nur Energie, sondern zerstört auch viele komplexe Chemikalien, bevor sie die Chance haben, größere Strukturen zu bilden. Deswegen waren die meisten Forscher bisher der Meinung, dass das Leben nur fernab der Oberfläche und der zerstörerischen Strahlung der Sonne begonnen haben kann. Bei Mulkidjanian spielt die Zersetzung durch UV-Strahlung jedoch eine andere, konstruktive Rolle: Sie selektiert die entstandenen Verbindungen – widerstandsfähige Moleküle reichern sich an.

Unter Druck
Allerdings gibt es da zuerst einmal einen kleinen Haken: Hydrothermale Sulfide kommen heutzutage nur tief im Meer vor, denn das Wasser muss auf über 400 Grad erhitzt werden, um Metalle aus dem Gestein zu laugen. Und bei solchen Temperaturen bleibt es nur unter hohem Druck flüssig. Geeignete Bedingungen herrschen heutzutage fast ausschließlich an den Schwarzen Rauchern der Mittelozeanischen Rücken. Zinksulfid findet man hier in großen Mengen, aber eben leider kein UV-Licht.

Die Lösung zumindest für dieses Problem liegt in der heißen, dichten Atmosphäre der Ur-Erde, die im Archaikum überwiegend aus Kohlendioxid-Stickstoff und Wasser bestand und an der Erdoberfläche einen Druck von mehreren hundert Bar erreichte. Das erste flüssige Wasser der Erde war ziemlich sicher heiß genug um die gelösten Metalle zur Oberfläche der frühesten Kontinente zu transportieren. Zusätzlich fallen Zinksulfide später aus als andere Metallsalze, so dass Zink während der Bildung der Ozeane bei sinkendem Druck für eine Weile das dominierende Metall in hydrothermalen Fluiden an der Oberfläche war. Das würde bedeuten, dass sich die chemische Evolution zu einem extrem frühen Zeitpunkt abspielte, als die Bildung von Ozeanen und der Atmosphäre noch nicht abgeschlossen war.

Vor dem Hintergrund dieser hypothetischen Umgebung aus einer sich langsam abkühlenden Atmosphäre über porösen Zinkblende-Konkretionen der Proto-Kontinente entwirft Mulkidjanian sein Szenario von der Entstehung des Lebens. Und dabei stoßen wir sofort auf ein paar bekannte Stoffe.

Unter den Molekülen, die UV-Strahlung recht gut standhalten, sind auch Verbindungen, die die Nucleobase Adenin enthalten. Experimente haben gezeigt, dass Nucleoside und Nucleotide direkt aus einfachen Molekülen wie Cyanamid, Aldehyden und Phosphat entstehen können – ohne dass zwischendurch der sehr labile Zucker Ribose auftauchen müsste. Mulkidjanian scheint vorzuschlagen, dass an der Oberfläche der Zinkminerale Nucleotid-Oligomere direkt photosynthetisch aus solchen einfachen Stoffen entstehen. Bedeutet das, dass das Leben möglicherweise doch mit einem RNA-ähnlichen Replikator begonnen hat?

Nucleotid-Stoffwechsel
Ich persönlich bezweifle das, zumal DNA und RNA beileibe nicht die einzigen Orte in der Zelle sind, an denen man auf Nucleotide trifft. RNA und verwandte Moleküle sind bekanntlich katalytisch aktiv, so dass diese ersten Nucleinsäure-artigen Stoffe wohl eher Bestandteil primitiver Stoffwechsel auf der Oberfläche gewesen sein dürften. Zumal solche Makromoleküle auch Nucleotide freisetzen können, die unter den von Mulkidjanian vorgeschlagenen Ursprungsbedingungen Strahlungsenergie aufnehmen und in chemische Reaktionen umsetzen können.

Die Nucleotidverbindungen NAD+, FAD, CoA, ATP und GTP nehmen im Zellstoffwechsel noch heute ähnliche Funktionen wahr. Man kann also die Situation sehr wohl so interpretieren, dass zuerst kleine Ribozyme entstanden und an der Oberfläche hafteten, zu denen dann die Nucleotide als Energiefänger und –träger für komplexere Reaktionen hinzukamen. In diesem Szenario hätte man einen Nucleotid-basierten Stoffwechselvorläufer, lange bevor der erste polymere Replikator entstand. Ab wann man derartige Systeme als belebt bezeichnet, ist vor allem eine Definitionsfrage.

Die Hypothese von Mulkidjanian wird die Suche nach dem Ursprung des Lebens nicht revolutionieren, aber sie bietet viele spannende Denkanstöße und vor allem eine neue Perspektive auf die Frage nach der ursprünglichen Energiequelle der chemischen Evolution. Daran kranken bislang viele Theorien, sei es, weil sie diese zentrale Frage schlicht ausklammern wie die RNA-Welt, sei es, weil sie wie die Wächtershäuser-These in der Theorie weitaus besser funktionieren als in der Praxis. Chemische Energie hat als Starter hier bislang nur Ärger gemacht – die abiotische Photosynthese bietet einen Ausweg.

Hübsch ist die Idee, dass die UV-Strahlung direkt die bekannten Nucleotide angereichert haben könnte. Damit schlägt der Autor eine elegante Brücke zwischen Energie und Stoffwechsel als einer Grundbedingung des Leben und der zweiten Grundbedingung Replikation auf der anderen Seite. Das ist meines Erachtens die erste Arbeit überhaupt, die ein halbwegs überzeugendes Konzept dafür vorschlägt.

Offene Fragen
Zwei Punkte allerdings bedürfen dringend weiterer Bearbeitung: Zum einen die Frage, wie der Phosphor in die Nucleinsäuren kam, und wie sich Nucleotid-Oligophosphate entwickelten, die in modernen Zellen Energie für Reaktionen bereitstellen. Zwar war Phosphor auf der frühen Erde wohl häufiger als heute und gelöstes Zink katalysiert unter bestimmten Bedingungen die Bildung von Phosphorsäureestern. Trotzdem ist die zentrale Rolle dieses seltenen Elements in allen lebenden Zellen ein Rätsel, dessen Lösung noch nicht einmal ansatzweise in Sicht ist. So lange dieses Phosphat-Problem nicht gelöst ist, brauchen wir an eine vollständige Theorie des Lebens auf der Erde nicht einmal zu denken.

Und dann ist da noch die Sache mit den Membranen. Die Zellmembran als trennendes Element zwischen Innen und Außen gehört heutzutage zu den Definitionsmerkmalen belebter Zellen. Die Zink-Hypothese stößt in ihrer vorliegenden Form auf ein grundlegendes Problem: Sobald sich eine Membran bildet, sind die Zinksulfid-Partikel draußen. Also braucht man einen Metabolismus, der von der Zink-Oberfläche unabhängig ist. Dazu müsste man sich von der Oberfläche lösen, aber wenn das ohne Membran passiert, löst sich das System schlicht auf. Hier fehlt also irgendwo ein ganz entscheidender Schritt.

Mir wäre es beim Lesen des Artikels allemal lieber gewesen, wenn sich Mulkidjanian noch ein bisschen mit solchen Kernfragen beschäftigt hätte statt in epischer Breite zu spekulieren, wie zum Beispiel die ersten Zellen von Zink zu Eisen wechselten oder wie sie die Welt kolonisierten. Wie einer der Reviewer trocken anmerkt: Irgendjemand muss den Kram ja auch noch lesen.

Mulkidjanian, A. (2009). On the origin of life in the Zinc world: 1. Photosynthesizing, porous edifices built of hydrothermally precipitated zinc sulfide as cradles of life on Earth Biology Direct, 4 (1) DOI: 10.1186/1745-6150-4-26

1 Kommentar

  1. RNA statt DNA

    Evolutionär gesehen, ist es höchst wahrscheinlich, dass RNA, zumindest ein primitives Vorläufersystem, zuerst gebildet wurde und die ersten Biomoleküle sich unter der Mithilfe der RNA entwickeln konnte. DNA scheidet meiner Ansicht nach grundsätzlich aus. Ist erstens zu starr und zweitens können einige Proteine auch ohne DNA gebildet werden. Außerdem können Desoxyribonukleotide nicht ohne Ribonukleotide gebildet werden. Wenn sich also durch anorganische positive Verbindungen sowie durch Energiezufuhr in Form von Reduktion des Eisens zu Pyrit und Wasserstoff organische Verbindungen gebildet haben sollten, dann wäre es doch viel leichter durch das Zusammenspiel von RNA und den ersten Biomolekülen weitere Verbindungen zu sythetisieren.

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