Sex mit Neanderthalern – sie haben es doch getan!

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Es ist endlich so weit: Nach mehreren Jahren Arbeit haben Svante Pääbo und Kollegen die lang erwartete erste Draft-Version des Neanderthaler-Genoms präsentiert. Gut, im Jahr 2006 hat er noch gesagt, der erste Entwurf sei binnen zwei Jahren zu erwarten, aber wir wollen angesichts dieser bemerkenswerten Leistung nicht kleinlich sein. ResearchBlogging.orgSchon dass es dieses Genom überhaupt gibt ist eine Sensation – und es geht gleich weiter: Durch Erbgutvergleiche kommen die Autoren der Publikation zu dem Schluss, dass Neanderthaler-Gene im modernen Menschen bis heute überlebt haben. Weil sich nämlich unsere Vorfahren mit der ausgestorbenen Menschenart gepaart haben.

Das allerdings ist nur ein Aspekt der jetzt vorliegenden Erbgutsequenz, mit der Pääbo sich wahrscheinlich endgültig in die Liste der Nobelpreiskandidaten einreiht. Weltweit stehen Forscher jetzt in den Startlöchern, um dem Genom seine Geheimnisse zu entreißen – was den Neanderthaler zu dem machte, was er war, warum er ausstarb und natürlich auch, was es mit seinen nächsten Verwanden auf sich hat, mit uns.

Ein gigantisches Puzzle

Das Genom eines Fossils kann natürlich nicht auf die gleiche Weise entschlüsselt werden wie das einer lebenden Art. Wenn überhaupt noch etwas davon da ist. Im Falle des Neandertalers nimmt man Proben aus besonders dichten Teilen des Knochens, in der Hoffnung, dass das Erbgut dort von Bakterien, Pilzen, Ausgräbern unberührt ist. Doch auch im günstigsten Fall ist die DNA in den letzten paar Zehntausend Jahren in viele kurze Bruchstücke zerfallen. Man hat also bestenfalls einen Riesenhaufen Schnipsel, die man irgendwie wieder in die richtige Reihenfolge bringen muss.

Glücklicherweise stehen zwei sehr ähnliche Genome zur Verfügung, die wir als Schablone verwenden können: Das des Schimpansen und unser eigenes. Die genetischen Unterschiede zwischen uns und dem Neandertaler zum Beispiel dürften sich im Bereich von wenigen Zehntel Promille bewegen. Man kann also die Schnipsel mit dem bekannten menschlichen Erbgut abgleichen und praktisch parallel dazu aneinander reihen, und dann hat man das Neanderthaler-Genom.

Dazu prüften die Forscher 21 Knochen aus Kroatien auf das Vorhandensein von Neanderthaler-DNA und wählten die drei aussichtsreichsten Proben für die Sequenzierung aus. Die aus diesen Fragmenten gewonnenen Erbgut-Extrakte wurden dann per Vergleich mit bekannten Genomen und Sequenzdaten vorsortiert und alles, was darin einigermaßen nach Primat aussah, näher unter die Lupe genommen. Je nach Probe stammten 95 – 99 Prozent des Genmaterials von Mikroorganismen, die das Gebein nach dem Ableben des Neanderthalers besiedelt hatten. Um das Verhältnis für die Amplifikation zu verbessern, mussten die Forscher Enzyme zusetzen, die bakterielle DNA bevorzugt schneiden.

Kontamination

Das eigentliche Problem sind aber nicht die Bakteriengene. Die sind leicht herauszufiltern, ganz im Gegensatz zu einer eventuellen Kontamination mit modernem menschlichem Erbgut. Da unser Genom dem des Neanderthaler so ähnlich ist, ist es unmöglich festzustellen, ob eine Sequenz deswegen mit dem menschlichen Genom identisch ist, weil der Neanderthaler an diesem Punkt die gleiche Sequenz hat, oder weil eine Hautschuppe der Laborantin ins Probengefäß gefallen ist. Das Problem haben die Forscher zumindest minimiert, indem sie unter identischen Bedingungen zuerst einmal einen Teil des Genoms eines Höhlenbären aus der gleichen Periode sequenziert haben – praktisch die gleiche Aufgabe, mit dem Unterschied, dass man hinterher genau sehen kann, wieviel menschliche DNA bei der Prozedur untergemischt wurde. In den ersten Versuchen waren das 11 – 40 Prozent. Erst nach einer Reihe substanzieller Verbesserungen am Verfahren haben sich die Forscher dann an den Neanderthaler herangetraut.

Spätere Messungen am fertigen Neanderthaler-Genom bestätigen, dass diese Strategie weitgehend erfolgreich war. Drei unabhängige Verfahren, die Kontamination zu bestimmen, lieferten jeweils Werte von unter einem Prozent menschlicher DNA, so dass das Genom tatsächlich als authentisches Neanderthaler-Genom gelten kann.

Und sie haben es doch getan!

Die erste Erkenntnis, die man aus den Erbgutsequenzen ableiten kann, ist die Antwort auf die Frage, ob sich Neanderthaler und moderne Menschen untereinander verpaart haben. Diese Theorie geistert seit 1999 durch die Forschung, als der amerikanische Anthropologe Erik Trinkaus einige “neanderthalische” anatomische Merkmale an fossilen Knochen von Homo sapiens als Zeichen gemischter Abstammung deutete. Seither erhitzen sich an dieser Frage die Gemüter. Die meisten Anthropologen waren mit der Interpretation von Trinkaus nicht einverstanden; sie sehen die anatomischen Gemeinsamkeiten nicht als Beleg für eine Vermischung, sondern erklären sie eher als Resultat gemeinsamer Abstammung.

Die neuen Genomdaten allerdings deuten tatsächlich darauf hin, dass eine Vermischung zwischen Neanderthalern und modernen Menschen stattgefunden hat. Einige menschliche Gene zeigen einerseits hohe Übereinstimmung mit ihren Neanderthaler-Äquivalenten, auf der anderen Seite aber eine extrem hohe Variationsbreite innerhalb der Menschheit selbst – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Vielfalt durch Zufluss von außen erhöht wurde. Daraus kann man getrost schließen, dass es erfolgreiche Paarungen über die Artgrenze hinweg gab und die Sprösslinge dieser Romanzen selbst fruchtbar waren[1]. Dass Europäer und Ostasiaten dem Neanderthaler ähnlich nahe zu stehen scheinen – ein weiteres Ergebnis, dass für einen Gentransfer spricht – kann man wohl dahingehend interpretieren, dass der größte Teil des Erbguttransfers sehr früh stattfand.

Denn wenn es zum Zeitpunkt der Vermischung schon getrennte Populationen in Ostasien und Europa gegeben hätte, sollte man auch dort einen Unterschied sehen. In Europa jedenfalls hat der Neanderthaler bis lange nach der Ausbreitung des Menschen nach Osten überlebt, offenbar ohne weiteren Einfluss auf das menschliche Genom zu haben. Möglicherweise sind die Neanderthaler-Populationen schon bald so stark geschrumpft, dass der Genfluss austrocknete, bevor der moderne Mensch ganz Eurasien besiedelt hatte. Aber das ist Spekulation, und es gibt auch andere mögliche Interpretationen.

Keine Spekulation ist allerdings, dass sich Genfluss nur in eine Richtung feststellen lässt, nämlich vom Neanderthaler zum Menschen. Ich überlasse es eurer schmutzigen Phantasie, die entsprechenden Szenarien auszuführen. Insgesamt liegt der Beitrag des Neanderthalers zwischen 1 und 4 Prozent des Genoms von nicht-Afrikanern. Das ist allerdings meines Erachtens zu wenig, um die Trinkaus-Theorie von den weit verbreiteten Neanderthaler-Merkmalen in menschlichen Skeletten zu stützen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang natürlich auch eine Analyse vergleichbar alter menschlicher Knochen um zu sehen, ob der genetische Einfluss des Neanderthalers ursprünglich größer war. Vielleicht kommt das ja noch.

Der Neanderthaler – das nach wie vor unbekannte Wesen

Die Autoren befassen sich außerdem mit der ebenfalls umstrittenen Frage, wann sich die Linien von Neanderthalern und Menschen getrennt haben. Sie verwenden dazu wegen der kurzen Zeitspanne nicht die klassische molekulare Uhr, sondern ein Verfahren, dass die enge Verwandtschaft der verglichenen Arten untereinander nutzt und auf einem Vergleich der Verbreitung der Allele verschiedener Gene in allen Arten. Mit diesem Verfahren kommen sie auf einen Zeitraum von 440.000 BP bis 270.000 BP, allerdings glaube ich nicht, dass das in dieser Frage das letzte Wort ist – archäologische Funde lassen auch andere Interpretationen zu, und die Knochensammler haben die unsympathische Angewohnheit, in derlei Streitfragen meistens Recht zu behalten.

Das eigentliche große Rätsel der Neanderthaler allerdings, nämlich wodurch sie sich vom modernen Menschen unterschieden und ob diese Unterschiede zu ihrem Aussterben beitrugen, bleibt vorerst ungelöst. Die Autoren präsentieren einige sehr interessante Ergebnisse, zum Beispiel Regionen des Genoms, in denen sich das menschliche Genom im Vergleich zum Neanderthaler am stärksten verändert hat. Darunter sind auch einige Gene, die beim modernen Menschen mit der Hirnentwicklung zusammenhängen, ich persönlich würde aber davon abraten, aus dieser vorläufigen Auflistung schon Schlüsse zu ziehen.
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[1] Was der unvermeidliche Craig Venter mit der ganzen Sache zu tun hat, wäre einen Blogeintrag für sich wert.

Paabo, S. (2010) et al. A Draft Sequence of the Neandertal Genome, Science, 328 (5979), 710-722 DOI: 10.1126/science.1188021

11 Kommentare

  1. Ich warte jetzt auf den ersten Idioten, der aus den bisherigen Ergebnissen die rassische Überlegenheit der Europäer über Afrikaner als bewiesen ansieht. Immerhin hat es beim Ölunfall im Golf von Mexiko nur wenige Tage gebraucht, bis der “Ökoterrorist” Obama schuld war [um was gegen Drill, Baby, Drill in der Hand zu haben].

    Ach ja, da wir jetzt den Beweis haben, dass Neanderthaler und Moderner Mensch fortpflanzungsfähige Nachkommen hervorbrachten, sollten wir uns nicht davon verabschieden, die beiden als getrennte Arten zu sehen? Sind wohl doch eher Varietäten/Rassen/Unterarten.

  2. Ich dachte immer

    “Neanderthaler” sei ein negativ konnotierter Begriff. Schließlich ist die Bande auch ausgestorben. Demnach müssen die Afrikaner die überlegene Rasse sein. Wer sagt’s der NPD? *g*

    Zur zweiten Frage: Nein, müsste man nicht. Auch klar getrennte Arten können zeugungsfähige Nachkommen haben. Die Definition der Art über die Fortpflanzung ist ja nur eine Extremposition in der Speziations-Debatte.

  3. Art

    “Definition der Art über die Fortpflanzung ist ja nur eine Extremposition”

    Aha. Was wäre eine alternative Extremposition, ohne den Artbegriff ganz über Bord zu werfen?

  4. Dieses halbwegs aktuelle Paper zum Thema Artbegriff kam mir gerade unter:

    http://www.pnas.org/content/102/suppl.1/6600.long

    Zumindest nach dem ersten Lesen bin ich zwar nicht so ganz einverstanden mit der Neudefinition – mir scheint die zu schwammig. Ich halte erst einmal an Mayrs ursprünglicher Form fest, da sich die Differenzen zu anderen Definitionen eher auf Nebensächlichkeiten wie synchrone und asynchrone Betrachtung zurückführen lassen.

    Eine kleinere Hürde gibt es allerdings bei asexueller Fortpflanzung; darüber muss ich noch nachdenken. Außerdem frische ich noch mein Wissen rund um die NeanderthalModern-Debatte auf.

  5. Asexuelle Fortpflanzung

    ist hier natürlich der Schlüsselbegriff. Es gibt momentan keine zufriedenstellende Definition der biologischen Art.

    Der Mayr’sche Artbegriff ist zwar ganz hübsch, so lange du nur Dinge betrachtest die pelzig sind und quieken, aber er bricht halt schon bei Rädertierchen, einigen Anolis-Arten u.dgl. zusammen, von Bakterien ganz zu schweigen.

    Welchen Nutzen hat ein Artbegriff, der auf die überwältigende Mehrheit allen Lebens nicht anwendbar ist?

  6. Im Augenblick gehen so ziemlich alle Artbegriffe, wie im verlinkten Paper beschrieben, auf das Konzept der Metapopulation zurück. Damit brechen sie alle zusammen, wenn es bsplw. um Pflanzen geht oder um Bakterien. Die Frage, die sich stellt, ist die Frage nach der Trennung zwischen Individuum und Gruppe. Handelt es sich bei Pflanzen, die hauptsächlich oder ausschließlich über Ableger vermehrt werden, um Individuen, die eine Population bilden oder ist das alles eins?

    Es ist ja nicht so, als ob wir eine Definition vorliegen hätten, die zum einen deutlich abgrenzt – also keine falschen Elemente in die Menge einschmuggelt – und zum anderen die Probleme löst. Die morphologische Definition, die aufgrund phänotypischer Ähnlichkeit entscheidet, bricht immer mal wieder zusammen, wenn genetische Tests gemacht werden. Eine genetisch-basierte Definition [Mayrs wäre eine] löst das Problem, wie asexuell reproduzierende Wesenarten einzuordnen sind, auch nicht.

    Um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen, bei der Frage, ob Neanderthaler und Cro Magnon/Modern eine Art sind oder zwei, geht es ja auch gar nicht um Asexualität, es geht – aufgrund möglicher genetischer Analyse von Fossilien – auch nicht um den Klassiker Asynchron-Synchron. Wir müssen nur entscheiden, wie wir uns zu unserer Verwandtschaft stellen, denken wir eher inklusive oder exklusive?

    Die Unterschiede zwischen Cro Magnon und Neanderthaler sind oberflächlicher Natur, sie sind nicht größer als die zwischen heutigen Varietäten [von den Unterschieden zwischen Individuen gar nicht zu reden]. Fänden wir heute noch eine Neanderthaler-Population, würden wir sie wie Bonobos, Schimpanzen, Gorillas und Orang-Utans behandeln? Oder als zu versklavende Subhumane? Oder doch wie Tante Agnes und Onkel Siggi?

    Beim gegenwärtigen Wissensstand müssten diejenigen, die N und CM nicht als eine Art sehen, gute, substantielle* Gründe vorbringen.

    *Formale reichen nicht, wenn die Fakten nicht in die Theorie passen, müssen wir die Theorie ändern.

  7. “Beim gegenwärtigen Wissensstand müssten diejenigen, die N und CM nicht als eine Art sehen, gute, substantielle* Gründe vorbringen.”

    Ganz im Gegenteil. Was ist denn dieser “gegenwärtige Wiisensstand” der plötzlich alles verändert? Dass ein paar futzelige Allele plus eine völlig willkürliche Artdefinition ausreichen, um unsere Sichtweise auf den Neanderthaler völlig umzukehren? Wohl kaum.

    Das ist doch reiner Biotech-Hype.
    Die Fundlage, sprich, die Knochen, die vom Neanderthaler gefunden wurden, sprechen nach wie vor eine deutliche Sprache: Der Neanderthaler ist anatomisch eine separate Art.

  8. Na ja, auch in der Vergangenheit haben verschiedene Paläoanthropologen darüber gestritten, ob es sich um eine Art handelt oder zwei. Die morphologischen Unterschiede können durchaus mit normaler Interartvariation erklärt werden. Chris Stringer war noch 1992 [in: Cambridge Encyclopedia of Human Evolution. Papberback von 1994, S. 247.] eher vorsichtig in der Formulierung, ob wir besser von Homo sapiens neanderthalensis sprechen oder von Homo neanderthalensis.

    Jetzt vertiefe ich mal weiter in die diversen Artbegriffe, dann suche ich eines raus, dass es uns ermöglicht, Neanderthaler und Moderne eindeutig zu trennen; Templeton und Nixon/Wheeler sehen nach guten Kandidaten aus.

  9. Homo sapiens neanderthalensis?

    „Interessant wäre in diesem Zusammenhang natürlich auch eine Analyse vergleichbar alter menschlicher Knochen um zu sehen, ob der genetische Einfluss des Neanderthalers ursprünglich größer war.“

    Man könnte ja auch z.B. auch mal in der U-Bahn einer größeren Metropole auf Probenfang gehen und DNA von Leuten mit Erik Trinkaus’ „neanderthalischen“ anatomischen Merkmalen sequenzieren. Da ist vielleicht selbst heute noch der genetische Einfluss des Neanderthalers höher als maximal 1 bis 4 Prozent….

  10. Das anatomisch-/morphologische Artgrenzen nur selten funktionieren ist doch hinlänglich bekannt. Aber hat jemand mal ein Beispiel für die erfolgreiche sexuelle Vermehrung über die Artgrenze hinweg?

    (Muli, Maultier und Co zählen nicht) Ich bräuchte derartige Beispiele (also fortpflanzungsfähige Nachkommen eine zwischenartlichen Fortpglanzung) mal für den Unterricht.

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