Eine Datenbank für negative Resultate

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Es ist ein oft beklagtes Problem der wissenschaftlichen Publikationspraxis, dass negative Ergebnisse – also wenn nicht das passiert, was man sich erhofft – eine wesentlich geringere Chance haben, publiziert zu werden. Dabei enthalten diese ‚gescheiterten‘ Experimente ebenso wertvolle Informationen wie  ‚positive‘ Resultate. Besonders deutlich wird das, wenn man sich mit der Gesamtheit der Interaktionen aller Biomoleküle einer Zelle befasst. Diesen relativ neuen Zweig der Systembiologie nennt man Interactomics.

Diese Forschungen gehören quasi zu den Spätfolgen des Human Genome Project, als der Jubel über die vollständige Entschlüsselung schnell der Erkenntnis wich, dass man damit nur die unterste Ebene dessen erkundet hatte, was einen Organismus ausmacht. Seither arbeiten sich Wissenschaftler langsam durch das komplexe Geflecht der Multienzymkomplexe, Cofaktoren und Signalkaskaden, um einen Überblick zu gewinnen, wie die einzelnen Moleküle zusammenwirken und welche Folgen das hat.

Das Problem ist die schiere Masse der möglichen Wechselwirkungen. Eine Zelle enthält tausende Proteine, die theoretisch auf Millionen Arten zusammenwirken können. Welche soll man im Experiment überprüfen? Inzwischen ist man dazu übergegangen, auf der Basis des bereits vorhandenen Wissen über Protein-Protein-Interaktionen Algorithmen zu entwickeln, die aus den vorhandenen Proteinen aussichtsreiche Paare zu filtern. Wie gut das funktioniert hängt allerdings stark von der Qualität der Ausgangsdaten ab. Interaktionen zwischen Proteinen können alles mögliche sein – solche Versuche sind sehr kompliziert, empfindlich und schwer auszuwerten. Entsprechend hoch ist die Fehlerquote, und entsprechend gemischt die Qualität dessen, was die Algorithmen ausgeben. Was wiederum die Fehlerquote erhöht, und so weiter.

Außerdem, und das ist die große Schwäche der Algorithmen, gehen bisher nur Daten über gefundene Interaktionen ein. Daten über Proteine, die nicht miteinander interagieren, sind allerdings mindestens genauso wertvoll: Um zu wissen, wie Biomoleküle in der Zelle ihre funktionen erfüllen, muss man nicht nur wissen, welche interaktionen zwischen Proteinen stattfinden, sondern genauso, welche nicht. Diese Informationen wurden aber bisher sträflich vernachlässigt.

Das Helmholtz-Zentrum München hat jetzt eine Datenbank für genau solche Nicht-Interaktionen gegründet. Sie enthält quasi das Gegenstück zum Interactom, das die Forscher in einem bemerkenswerten Akt sprachlich-ästhetischen Vandalismus „Negatom“ tauften, und wurde kürzlich in Nucleic Acids Research vorgestellt.

Die Münchener Negatom-Datenbank erfasst zwei Typen von Daten: Einerseits empirische Indizien gegen eine Interaktion zwischen zwei Proteinen, und andererseits Kristallstrukturdaten von hochkonzentrierten Proteinmischungen – wenn die Moleküle unter solchen Bedingungen nichts miteinander machen, kann man vermuten, dass sie es in der Zelle auch nicht tun. Derzeit enthält die Datenbank etwas unter 3000 Einträge, hat aber Potential für wesentlich mehr. Man kann nur hoffen, dass derartige Initiativen dazu führen, dass negative Resultate in Zukunft etwas mehr wertgeschätzt werden.

(via mental indigestion)

2 Kommentare

  1. Nachahmenswert!

    Ich wünschte, so etwas gäbe es zur Chemie auch. Ich wage gar nicht daran zu denken, wie viele Versuche immer und immer wiederholt werden, weil man einfach nicht weiß, dass es eben nicht “geht”.

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