Die Grippe und das Wetter

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Eine der kurioseren Eigenschaften des Influenzavirus ist sein unterschiedliches Verhalten abhängig von der geographischen Breite. In den gemäßigten Breiten richtet sich das Virus nach den Jahreszeiten: Die alljährliche Grippewelle erreicht hierzulande meist zwischen Dezember und März ihr Maximum, auf der Südhalbkugel sind die Monate Mai bis September Grippesaison. Das allein ist schon seltsam genug. Man könnte leicht auf die Idee kommen, dass es etwas mit der Temperatur zu tun hat. Ist Grippe kälteliebend? Schwächt der Winter das Immunsystem?

Wenn das zuträfe, sollten die dauerwarmen Tropenregionen weitgehend Grippefrei sein. Davon kann allerdings keine Rede sein, im Gegenteil, in Tropen und Subtropen ist die Influenza sogar ganzjährig aktiv. Allerdings ist das Verbreitungsmuster in diesen Regionen insgesamt anders, einzelne Ausbrüche sind vergleichsweise begrenzt, besonders verglichen mit den massiven Epidemien in höheren Breiten. Wissenschafler hatten deswegen schon länger vermutet, dass Differenzen im Verbreitungsmechanismus für diese Unterschiede verantwortlich seien.

Quelle: Viboud C, Alonso WJ, Simonsen L. Influenza in tropical regions. PLoS Med. 2006 Apr;3(4):e89, CC BY

Das Grippevirus kann auf zwei Arten weitergegeben werden. Zum einen klebt es an Oberflächen und gelangt so per Schmierinfektion in den Wirt – deswegen soll man sich wegen der Schweinegrippe auch regelmäßig die Hände waschen: Es ist zwar recht unwahrscheinlich, einen Infizierten zu treffen, jeder Erkrankte hinterlässt jedoch in der Umgebung eine unsichtbare Virenspur, die bis zu zwei Tage lang ansteckend bleibt. Zweitens breitet sich die Grippe in Form von Aerosoltröpfchen über die Luft aus.

Tatsächlich beeinflussen Temperatur und Luftfeuchtigkeit diese beiden Übertragungswege offenbar in unterschiedlicher Weise, wie Ansteckungsversuche an Meerschweinchen in den letzten Jahren gezeigt haben. Wissenschaftler haben einige Tiere mit dem Grippevirus Panama/2007/1999 infiziert und mit uninfizierten Artgenossen in Klimakammern gesteckt. Wenn die Tiere alle gemeinsam in einem Käfig steckten und sich gegenseitig per direkten oder indirekten Kontakt anstecken konnte, machte es keinen Unterschied, ob die relative Luftfeuchtigkeit 35 oder 80% war und bei welcher Temperatur die Tiere gehalten wurden.

Anders sieht das aus, wenn man kranke und gesunde Viecher sauber trennt und ihnen nur den gemeinsamen Luftraum lässt. Auch dann stecken sich alle gesunden Tiere schnell an, wenn Temperatur und Luftfeuchtigkeit niedrig liegen. Bei hohen Temperaturen ist die Ansteckung allerdings unterbunden, und die kritische Temperatur, ab der das passiert, sinkt bei steigender Luftfeuchtigkeit dramatisch.

Aus diesen Befunden schließen Anice Lowen Mount Sinai School of Medicine in New York und ihr Kollege Peter Palese jetzt, dass die regionalen Ausprägungen der Influenza schlicht mit dieser Temperaturabhängigkeit zu tun hat (Volltext). In den Tropen breitet sich das Grippevirus demnach quasi ausschließlich durch mehr oder weniger direkten Kontakt aus. Dadurch ist es natürlich von der menschlichen Mobilität abhängig und frisst sich auf diese Weise über Sozialkontakte langsam durch die Bevölkerung.

In den mittleren Breiten kann ein Grippekranker dagegen ganze Wohnblöcke mit winzigen infektiösen Tropfen begasen und in kürzester Zeit hunderte oder tausende Menschen anstecken. Die Grippewelle breitet sich rasend schnell durch die Bevölkerung aus, wie wir es von der klassischen Grippesaison kennen. Innerhalb relativ kurzer Zeit sind Millionen infiziert und Tausende tot. Und dann ist der Spuk wieder vorbei. Und was ist mit der langsamen Übertragungsweg, durch direkten Kontakt? Sollte der nicht dafür sorgen, dass auch im Sommer noch Leute erkranken? Im Prinzip ja, aber erstens ist Schmierinfektion weniger effektiv, und zweitens gibt es, da sich die Grippe im Winter so rasend schnell ausgebreitet hat, im Sommer danach weniger Leute, die keine Antikörper gegen das Virus haben. Deswegen ist die Ansteckungsrate sehr niedrig.

Das gilt übrigens auch für andere Stämme. Die jährlichen intensiven Grippewellen scheinen dazu zu führen, dass es in der allgemeinen Bevölkerung der gemäßigten Zonen eine Grundimmunität gegen Grippe gibt, die Kontaktinfektionen auf niedrigem Level hält. Das ist möglicherweise auch das Geheimnis des aktuellen Pandemie-Erregers A/H1N1. Das Virus kann sich, vermuten die Forscher, vor allem deswegen auch im Sommer so effektiv ausbreiten, weil es ziemlich neu ist und so diese Grundimmunität gegen die anderen, schon länger kursierenden Stämme unterläuft. Möglicherweise werden wir mit der Schweinegrippe noch so unseren Spaß haben, wenn es wieder kälter wird.

2 Kommentare

  1. Grippe und Klimawandel

    Lieber Herr Fischer, hoch interessant.
    Es gibt ja Leute, die behaupten, durch die globale Erwärmung bekommen wir nicht nur in Europa mehr Hitzetote sondern ersparen uns andererseits noch viel mehr Kältetote. Und das beruht dann auf einer simplen Korrelationsanalyse: im Winter sterben mehr Leute, vor allem an Grippe, es gibt also eine enge Korrelation von Temperatur und Mortalität, aus der man dann die Wirkung einer Klimaerwärmung berechnen will. Mit seriöser Wissenschaft hat das natürlich wenig zu tun – denn eine für den Jahresgang geltende statistische Korrelation einfach auf einen Klimawandel anzuwenden ist a priori nicht gerechtfertigt.
    Aber nun zu meiner Frage: lassen sich aus der Studie Schlüsse ziehen, wie eine Klimaerwärmung sich auf die Grippe auswirkt? Kann man Ihren Artikel so lesen, dass die *Gesamtzahl* der Grippeerkrankungen in wärmeren Ländern gleich hoch ist wie bei uns, nur anders übers Jahr verteilt?

  2. Grippezahlen

    Lieber Herr Rahmstorf,

    ich sage mal vorsichtig, so wie ich das verstehe, ist das ungefähr in einer ähnlichen Größenordnung. Allerdings muss man natürlich berücksichtigen, dass man keine genauen Zahlen hat, speziell in vielen tropischen und subtropischen Ländern.

    Außerdem schwanken ja die Erkrankungszahlen von Jahr zu Jahr und je nach Virus sehr stark, und ich kann mir gut vorstellen, dass verschiedene Stämme auf verschiedene Klimazonen sehr unterschiedlich reagieren.

    Insofern glaube ich nicht, dass wir bei den Infektionszahlen oder Sterberaten einen Klimaeffekt sehen werden. Dazu ist die natürliche Schwankungsbreite bei Grippe m.E. zu hoch.

    Ich persönlich habe auch den Verdacht, dass der direkte Zusammenhang zwischen Krankheitslast und Klima geringer ist als oft vermutet. Armut, Ernährung und medizinische Versorgung spielen eine viel größere Rolle.

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