Pandemien und Evolution beim Norovirus

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Warum breiten sich manche Viren wie Flächenbrände über ganze Kontinente aus, während andere nur kleine, begrenzte Ausbrüche auslösen? Bei den Noroviren bestimmen Fehler bei der Reproduktion des Erbgutes die biologische Fitness des Erregers und entscheiden darüber, ob eine Pandemie droht.

ResearchBlogging.orgAnders als bei Menschen und anderen Vielzellern sind Viren nicht darauf angewiesen, ihr Erbgut mit großer Genauigkeit zu kopieren. Im Gegenteil, je mehr Fehler beim Kopieren des Erbguts passieren, desto diverser ist die Population und, sollte man zumindest meinen, die evolutionäre Fitness. In einer aktuellen Studie an Noroviren haben Forscher ein bemerkenswertes Beispiel für diesen Zusammenhang gefunden.

Der höchst unerfreuliche, aber selten tödlichen Durchfallerreger ist den weitaus gefährlicheren Influenzaviren in einigen Punkten sehr ähnlich, zum Beispiel darin, dass beide weltweite Pandemien auslösen können. Seit 1995 gab es insgesamt fünf große Norovirus-Pandemien (1995/1996, 2002, 2004, 2006 und 2007). Sowohl bei Noro als auch bei Influenza unterteilt sich die Virenpopulation in eine sehr variable Ansammlung von Stämmen und Linien, die schnell evolvieren. Einen entscheidenden Unterschied gibt es allerdings: Während bei der Influenza eine ganze Reihe Subtypen Pandemiepotential haben, gingen die Norovirus-Wellen des letzten Jahrzehnts von einer einzigen Unterlinie namens GII.4 aus. Und das scheint vor allem an der geringeren Stabilität des Erbguts zu liegen.

Noroviren sind ausgesprochen unerfreuliche kleine Biester, weil sie extrem infektiös sind und dazu schwer wieder loszuwerden. Sie sind für den Großteil aller Magen-Darm-Infekte weltweit verantwortlich, und es gibt weder eine Impfung noch ein Gegenmittel. Wie alle hüllenlosen Erreger ist das Norovirus gegenüber Umwelteinflüssen recht resistent, weswegen sie nur schwer wieder loszuwerden sind.

Wer im erkrankten Zustand auf seine Katze kotzt, hat anschließend ein echtes Problem. Die Erreger sind im Temperaturbereich von -20 bis + 60 Grad lebensfähig (im Gegensatz zu Katzen) und überstehen in Textilien und vergleichbaren Materialien bis zu zwei Wochen. Nur etwa 10 bis 100 Partikel reichen für eine Ansteckung aus.

Angesichts dieser Merkmale ist es durchaus etwas kurios, dass nur ein einziger Subtyp des Erregers überhaupt Pandemiepotential hat, und Wissenschaftler rätseln schön seit einer Weile, woran das liegt. Die bisherige Forschung hat sich auf die Wechselwirkung zwischen Virus und Wirt konzentriert. Dabei hat sich gezeigt, dass der Pandemie-Subtyp an alle Blutgruppen-Antigene des Menschen andocken kann, während das Reservoir anderer Linien geringer ist. Allerdings scheint dieser Effekt in der Praxis keine Bedeutung zu haben.

Deswegen konzentrierte sich die jetzt in PLoS Pathogens veröffentlichte Arbeit von Bull et al. auf die Ursachen und Folgen von genomischer Variabilität. Sie untersuchten neben der Pandemie-Linie GII.4 die verwandten, aber seltener auftretenden Linien GII.3 und GII.7 auf ihre Mutationsraten. Das ist bisher noch nicht passiert, weil sich Noroviren in Kultur nicht Vermehren lassen, deswegen mussten die Wissenschaftler auch ein paar kleine Umwege über rekombinante Virusproteine machen, nachzulesen im Paper. Der entscheidende Punkt ist allerdings, dass Noroviren schon von sich aus hochvariabel sind, ihr wichtigstes Hüllprotein unterscheidet sich zwischen den Linien in bis zu 61 Prozent aller Aminosäuren. Verantwortlich dafür ist die RNA-abhängige RNA-Polymerase, ein Enzym, das das Virus in seiner Hülle mittransportiert um sein Erbgut zu vervielfältigen.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei den Noroviren die Fehlerhäufigkeit bei der Synthese neuer Erbgutstränge eine gewisse Rolle spielt. Jedenfalls ins die Mutationsrate bei den Pandemiestämmen um ein vielfaches höher als bei den anderen Noroviren. Das führt dann natürlich auch zu einer größeren Vielfalt der Antigene und vor allem einer hohen Evolutionsgeschwindigkeit, wie der parallel durchgeführte Sequenzvergleich der Hüllproteine von 54 seit 1987 isolierten GII.4-Einzellinien, 14 Linien von GII.3 und fünf Linien von GII.7 zeigt. Der Pandemiestamm hat zusätzlich nicht nur mehr Mutationen angesammelt, sondern auch mehr solche, die tatsächlich Folgen in Form von ausgetauschten Aminosäuren im Protein hat, ein klarer Hinweis darauf, dass das veränderliche Genom nicht einfach fröhlich vor sich hin mutiert, sondern auf konkrete Selektionsdrücke reagiert und so dem Pandemievirus einen echten Fitnessgewinn beschert.

Das ganze funktioniert auch in die Gegenrichtung: Die anderen untersuchten Linien haben eine geringere Mutationsrate und sind seltener. Wenn sie auftreten, dann bevorzugt in Kindern, und die Cluster an Infektionen bleiben klein. Das interpretieren die Forscher dahingehend, dass diese Linien nicht flexibel genug sind, um die Herdenimmunität gegen diese doch recht häufigen Infektionen zu umgehen. Der Subtyp GII.4 dagegen evolviert offenbar schnell genug, um in regelmäßigen Abständen Antigene zu präsentieren, auf die menschliche Immunsysteme nicht vorbereitet sind.

Bull, R., Eden, J., Rawlinson, W., & White, P. (2010). Rapid Evolution of Pandemic Noroviruses of the GII.4 Lineage PLoS Pathogens, 6 (3) DOI: 10.1371/journal.ppat.1000831

4 Kommentare

  1. Norovirenalarm: Trinkwasser macht krank

    Norovirus-Infektionen werden durch Fäkalien entweder in Lebensmitteln oder im Trinkwasser ausgelöst, bevor sie sekundär übertragen werden können, besonders augenfällig in Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen oder Kindergärten. In unseren Gewässern, auch im Grundwasser, kommen Viren vor. Unsere Wasserwerke können Viren regelmäßig nicht filtern. Kaltes Wasser konserviert ansteckende Viren. Offensichtlich folgen die Norovirus-Infektionen jedes Jahr streng dem Verlauf der Kälte im Wasser und in den Wasserleitungen. Unsere Lebensmittel haben das ganze Jahr über in etwa die gleiche Temperatur. Das Trinkwasser nicht. Es hat sein Temperaturminimum im Februar/März. Also muss das Trinkwasser die Norovirus-Infektionen auslösen! Unsere Wasserwerke müssen so nachgerüstet werden, dass auch Viren abgefiltert werden.

    Dipl.-Ing. Wilfried Soddemann
    soddemann-aachen@t-online.de
    http://sites.google.com/…alarm/Trinkwasser-Viren

  2. Ich hatte auch schon mehrmals eine Norovirus-Infektion gehabt, und war nach einem Tag gesund.
    Und genau da liegt meine Frage:
    Warum werde ich bei so einer Infektion überhaupt wieder gesund?
    Bei der hohen Mutationsrate der Viren müßte ich mich doch laufend aufs neue infizieren?
    Oder habe ich bisher einfach nur Glück gehabt?

  3. Das Immunsystem ist ziemlich effektiv und kann wesentlich schneller auf neue Virusvarianten reagieren als sie entstehen. Es dauert ne Zeit, bis alle Systeme voll mobilisiert sind, aber normalerweise wird der Eindringling über kurz oder lang ausgelöscht. Es sei denn er hat spezielle Tricks auf Lager, aber die entstehen nicht spontan.

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