Mega-Erdbeben in Serie – Zufall oder mehr?

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Die stärksten Mega-Erdbeben der letzten hundert Jahre traten in Clustern auf. Das sei kein Zufall, und wir sind gerade mitten in einer solcher Serie, behauptet ein Journalist. Die nächste große Katastrophe, schlussfolgert er, stehe unmittelbar bevor. Stimmt das?

Eine kuriose Idee macht derzeit die Runde und hat es gerade bis auf die Nature-Website geschafft: Das Erdbeben von Japan ist demnach Teil einer ganzen Serie von Megabeben – und das nächste derartige Ereignis steht kurz bevor. Beben, die deutlich stärker sind als Moment-Magnitude 8,5 sind weltweit ausgesprochen selten. Mit dem Sumatra -Beben 2004, dem Beben von Chile letztes Jahr und jetzt Sendai traten drei Beben der Magnitude 8,8 (d.h. etwa drei mal so stark wie M 8,5) oder mehr innerhalb der letzten sechs Jahre auf, von insgesamt nur sieben derartigen Ereignissen im gesamten letzten Jahrhundert. Zufall?

Der Journalist Simon Winchester hat sich letzten Monat in Newsweek mit dieser These aus dem Fenster gelehnt und reichlich Prügel dafür eingesteckt. Natürlich nicht dafür, dass er einem Meinung zu irgendwelchen obskuren plattentektonischen Kopplungen hat, sondern weil hinter solchen Ideen immer auch die Frage steckt, wann und wo die nächste Katastrophe zuschlägt. Und da sind Seismologen empfindlich, zumal Erdbebenvorhersage immer noch ein schwieriges Geschäft ist.

Winchester hat wohl mit Blick auf die Publicity wild drauflosspekuliert. Er behauptet nämlich, die San-Andreas-Verwerfung sei in der Serie als nächstes dran, was wirklich nur dann eine plausible Wahl ist, wenn die Prominenz dieser Bruchzone ausschlaggebender war als seismologische Überlegungen. Dafür spricht denn auch, dass er sich auf das Erdbeben von Christchurch beruft. Das erzeugte zwar großes Medieninteresse, setzte aber nur ein Zehntausendstel der Energie des Bebens von Japan oder eines vergleichbaren Ereignisses frei und gehört deswegen in die Reihe gar nicht rein.

Das Beispiel zeigt aber, dass der Fokus auf die bloße Bebenstärke unter dem Gesichtspunkt des Katastrophenschutzes sowieso verfehlt wäre. Wenn wir mit schwerem Erdbeben eines mit großen Schäden und vielen Toten meinen, dann ist die reine Stärke des Bebens weniger entscheidend. Das Beben in Christchurch hatte eine Magnitude von 7,1 und das in Haiti sogar nur 7,0 – trotzdem starben bei letzterem über 300.000 Menschen. Andersherum treten jedes Jahr weltweit etwa 150 Erdbeben mit Stärken zwischen 6 und 8 auf, und die meisten gehen einigermaßen glimpflich aus.

Zerstörungen durch das Erdbeben am 27. Februar 2010 in Chile – M 8,8

Die Mega-Beben verdienen natürlich dennoch Beachtung, denn jedes von ihnen setzt so viel Energie frei wie der Einschlag eines mehrere Kilometer großen Meteoriten[1] – bei ihnen sind immense Schäden praktisch garantiert. Nicht nur wegen der Erdstöße, sondern auch, weil sie oft einen große Tsunamis auslösen, wie eben in Japan oder Indonesien. Außerdem treten sie in einem spezifischen geologischen Rahmen auf und zeigen halbwegs regelhaftes Verhalten. Das heißt in der Praxis, dass sich Spannung dort kontinuierlich mit einer bekannten Rate aufbaut und man aus den geologischen Spuren früherer Erdbeben ungefähr ermessen kann, wann die Verwerfung wieder “fällig” ist. Wenn die These vom Superbeben-Cluster zutrifft, dann wird es in den nächsten paar Jahren an einer dieser Plattengrenzen krachen, und zwar in einer Region, von der man lange nichts mehr gehört hat.

Subduktionszonen
Eine solche Subduktionszone, in der sich seit lgeraumer Zeit Spannung aufbaut, ist die Cascadia-Region an der Westküste von Nordamerika. Dort schiebt sich, wie vor Japan und Sumatra, Meeresboden unaufhaltsam unter einen anderen Krustenteil, der sich durch den Druck aufwölbt. Abgelagerte Sedimente in der Küstenregion geben Zeugnis von den regelmäßigen Zyklen aus langsamer Aufwölbung, die in unregelmäßigen Abständen von schweren Erdbeben mit Tsunamis und weiträumigem Absinken der Küstenregion unterbrochen werden. Das letzte Großbeben liegt dort über 300 Jahre zurück.

Über die Subduktionsbeben der Cascadia-Region hatte ich andernorts ja schon mal geschrieben. In dieser 1200 Kilometer langen Region tauchen die Juan-de-Fuca-Platte und die benachbarte Explorer-Platte mit Geschwindigkeiten von bis zu 4,5 Zentimetern pro Jahr unter Nordamerika ab. In der Trefferzone liegt der Ballungsraum Vancouver-Seattle mit fast zehn Millionen Einwohnern, und anders als in Japan sind vor allem die älteren Gebäude dort nicht erdbebensicher gebaut. Dass es dort – oder an einer vergleichbaren Plattengrenze – irgendwann wieder knallt ist sicher, die Frage ist, ob die jüngsten Starkbeben die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht haben. Es ist immerhin bekannt, dass Erdbeben die Spannungsverhältnisse in benachbarten Verwerfungen verändern und so dort die Bebenneigung beeinflussen. Die bekanntesten derartigen Untersuchungen stammen von der gut erforschten San-Andreas-Region, in der mehrere miteinander verwandte Verwerfungen regelmäßig Erdbeben verursachen.

Allerdings geht es dabei um Strukturen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Dass dieser Mechanismus über tausende Kilometer hinweg die Verhältnisse im Untergrund entscheidend beeinflusst, scheint selbst bei Magnituden von 9 und größer unwahrscheinlich. Eine aktuelle Arbeit aus Nature Geoscience kommt denn auch zu dem Ergebnis, dass Erdbeben andere Erdbeben nur in einer Entfernung beeinflussen, die etwa dem Dreifachen der Länge der Bruchfläche entspricht. Das wären im Fall des Japan-Bebens 700-800 Kilometer, nur etwas mehr als ein Zehntel der Entfernung zu Cascadia (aber immerhin in Reichweite der ebenfalls “fälligen” Nankai-Tokai-Region weiter südlich).

Statistik der kleinen Zahlen
Für einen Cluster spricht immerhin, dass es Mitte des Jahrhunderts eine ähnliche Gruppierung gab: 1952 bebte die Erde in Kamschatka, 1960 in Chile, 1964 dann in Alaska, jedesmal mit Magnituden von 9 oder höher. Ein weiteres Beben ein Jahr später in Alaska erreichte Stärke 8,7. Anschließend war wieder 40 Jahre relative Ruhe. Das letzte vergleichbare Starkbeben vor dem Cluster fand 1906 statt. Wir haben also für den Zeitraum mit halbwegs verlässlichen Aufzeichnungen eine Abfolge von vier Jahrzehnten Ruhe, einem Jahrzehnt mit mehreren extremstarken Beben, wieder vier ruhigen Dekaden und den Beben der letzten Jahre. Sieht nach einem klaren Muster aus, oder?

Die Cascadia-Subduktionszone ist mit der Ursprungsregion des Sumatra-Bebens 2004 vergleichbar. Quelle: USGS

Das Problem hier ist allerdings die Datenbasis. Für eine globale Auswertung taugen nur die Daten der letzten etwa 100 Jahre. Erdbebenzyklen an Subduktionszonen spielen sich dagegen über Zeitspannen von zigtausenden Jahren ab , so dass die vorhandenen Aufzeichnungen effektiv eine Momentaufnahme darstellen, geologisch betrachtet. Das wäre weniger tragisch, wenn wir hinreichende Fallzahlen hätten, aber im fraglichen Zeitraum gab es genau sieben solcher Erdbeben. Hier greift das Gesetz der kleinen Zahl: eine kleine Fallzahl bildet die zugrunde liegende Wahrscheinlichkeit von Ereignissen noch nicht ab.

Das kann man sich anhand eines Schokokuchens veranschaulichen, den man in zehn Teile schneidet: Die Wahrscheinlichkeit, Schokolinsen abzubekommen, ist für alle Teile gleich. Wenn man aber nur zehn Schokolinsen in den Kuchen tut, wird man keineswegs in jedem Stückchen genau eine Schokolinse finden, sondern in einigen mehrere oder eben gar keine. Mit hundert Schokolinsen im Teig dagegen kann man sicher sein, die einigermaßen gleichmäßige Verteilung zu erhalten, die man entsprechend der gleichen Wahrscheinlichkeiten erwarten sollte. Kleine Fallzahlen bilden Cluster, auch bei Erdbeben[2].

Hinzu kommt, dass es keinen Mechanismus dafür gibt. Angesichts unseres noch lückenhaften Wissen um die Details von Plattentektonik, Subduktion und Bebenentstehung ist das für sich genommen kein wirklich wasserdichtes Argument gegen die These, aber zusammen mit den oben angeführten statistischen Überlegungen schon ein klares Warnzeichen. Die meisten Seismologen stehen der ganzen Sache denn auch ziemlich reserviert gegenüber. Außergewöhnliche Behauptungen, außergewöhnliche Beweise und so.

Eine ganz andere Feinheit scheint allerdings auch den Kritikern der These zu entgehen. Selbst wenn die Megabeben tatsächlich kausal zusammenhängen und in Clustern auftreten – das muss, anders als überall zu lesen, keineswegs heißen, dass die nächste Katastrophe direkt vor der Tür steht. Seit 2004 gab es genau drei dieser Ereignisse. Beim vorherigen Cluster war nach dem dritten Schlag aber Ruhe, vierzig Jahre lang.
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[1] Im Fall des Erdbebens von Japan das Äquivalent von 9400 Milliarden Tonnen TNT oder einem 5000 Meter großen Asteroiden, berechnet mit dem Impact Calculator.

[2] Übrigens auch ein Problem bei Studien, die extrem seltene Krebsarten mit Mobilfunkstrahlung oder Atomkraftwerken in Verbindung bringen.

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