Heimat und Identität: Narudi Nyumbani (Ich gehe nach Hause zurück)

BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Die Rap-Band Advanced Chemistry besteht aus drei Deutschen mit Einwanderungsgeschichte. Sie heißen Toni L (Italien), Linguist (Ghana), Torch (Haiti) und wuchsen in Heidelberg auf. In ihrem Lied „Heidelberg“ haben sie ihrer Heimatstadt ein lyrisches Denkmal gesetzt: 

Toni L

Heidelberg, Stadt der Dichter und Denker und Philosophen
über diese Stadt gibt es viele Strophen
gedichtet oder anders hergerichtet
im Sommer, im Winter am Kachelofen

1196 hat sie ihren Namen bekommen
die Geschichte dieser Stadt ihren Anfang genommen
die Spur akademischer Kultur…

Linguist

…Mit Wehmut blick ich zurück – weit
auf ein schönes Stück Kindheit
und eine Jugendzeit geprägt von Offenheit
Was nützt es wenn ich meine Gefühle verberg?
Es ist nun mal so
Ich bin froh, ich komm aus Heidelberg…

Torch

…Der Duft von frischen Brötchen
und Laub was den Boden schmückt
Heidelberg ist eine Mutter
die mich an sich drückt
Ich spür die Wärme
die in den Pflastersteinen ruht…

…Ich hab meinen Kopf an diesem Ort
Ich lass ihn dort
mein Körper reist durch alle Welten
doch ich geh nie fort…

Die zwei Dimensionen des Begriffs Heimat

So oder so ähnlich klingt es meist wenn Menschen in ihren Erinnerungen schwelgen und von ihrem zu Hause bzw. ihrer Heimat reden. Ein Ort an den wir gerne zurückdenken wenn wir dort eine glückliche Kindheit verlebt haben.  Die Betonung liegt auf wenn…denn man kann auch unter widrigen Umständen in einem schmutzigen Armenviertel mit hoher Kriminalitätsrate aufwachsen und von Kindesbeinen an den Wunsch hegen „hier wegzukommen“. Diese Heimat, dieses zu Hause zu verlassen. Wer seine Heimat verlässt muss of eine Wahlheimat finden, einen Ort den man sich (ersatzweise) als Heimat wählt.

Heimat ist ein komplexer Begriff, weil Heimat zwei Dimensionen hat: eine räumliche und eine soziale, die sich nicht überlappen müssen.  In der räumlichen Dimension ist Heimat der Staat, dessen Bürger man ist. Die Stadt, in der man sich auskennt, weil dieser Ort mit der eigenen Lebensgeschichte, mit Erinnerungen verbunden ist. In der sozialen Dimension meint Heimat die eigene Familie, die Freunde, Menschen die unsere Muttersprache sprechen, die Landsleute im Allgemeinen. Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch betont die soziale Dimension und sagt:

„Heimat ist der Mensch, dessen Wesen wir vernehmen und erreichen.“

Der Begriff Heimat wurde in den letzten zwei Jahrzehnten immer öfter in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert und gewann an Bedeutung, weil immer mehr Menschen das Land ihrer Geburt verließen und nach Deutschland kamen. Seit Mitte der 1950er Jahre ist Deutschland eines der wichtigsten europäischen Zielländer von Migranten. Manche von ihnen finden in Deutschland ihre neue Heimat und manche nicht, die Gründe sind vielfältig und individuell mit der persönlichen Migrationsgeschichte verknüpft. In der postmodernen Gesellschaft  ist daher besonders für Migranten der zweiten Generation, die ihr Leben an verschiedenen Orten verbracht haben, die Frage nach Heimat nicht einfach und endgültig zu beantworten. Muss sie auch nicht, denn viele von Ihnen sehen sich mittlerweile als Weltbürger. Der Brite Thomas Paine, ein Pionier der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, formulierte es einmal treffend so:

„Die Welt ist mein Vaterland und Gutes zu tun meine Religion.“

 

Krieg ist eine der Hauptursachen der globalen Migration

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Migration. Unter den Vorzeichen von zwei Weltkriegen und einer zunehmenden ökonomischen, politischen und kulturellen Globalisierung haben sich die Migrations- und Flüchtlingsprobleme im 20. Jahrhundert enorm verschärft.  Eine der Hauptursachen der globalen Migration ist Krieg.  Besonders in den letzten drei Dekaden gab es viele Kriege. Ich kenne persönlich viele Menschen die aufgrund dieser Kriege nach Deutschland geflohen sind.  In der folgenden Tabelle (die natürlich nicht vollständig ist und meine persönliche Auswahl darstellt) habe ich diese Kriege zusammengefasst:

Krieg

Zeitraum

Unabhängigkeitskrieg Namibia

1966-1988

Unabhängigkeitskrieg Eritrea

1969-1993

Bürgerkrieg Äthiopien

1974-1975

Bürgerkrieg Angola

1975-2002

1. Krieg Afghanistan

1979-1989

Erster Golfkrieg

1980-1988

Bürgerkrieg Uganda

1980-2006

Krieg Libanon

1982

Bürgerkrieg Sudan

1983-2003

Bürgerkrieg Somalia

Seit 1988

Bürgerkrieg Liberia

1989-1997

Bürgerkrieg Afghanistan

1989-2001

Bürgerkrieg Jugoslawien

1991-1995

Bürgerkrieg Sierra Leone

1991-2002

Bürgerkrieg Ruanda

1994

1. Tschetschenienkrieg

1994-1996

Krieg Kongo

1996-2003

Kosovo-Krieg

1999

2. Tschetschenienkrieg

1999-2009

2. Krieg Afghanistan

2001-2006

Krieg Irak

2003-2007

Flucht und Asyl

Flucht heißt seine Heimat zu verlassen, sich von Familie und Freunden zu trennen und vielleicht nie zurückzukehren. Ein Aufbruch ins Ungewisse. Oft endet diese Flucht in den reichen Industrienationen des Westens mit der Bitte um Asyl. In Deutschland müssen Asylbewerber bis zum Abschluss des Asylverfahrens in Asylbewerberunterkünften leben.  Diese Unterkunft ist natürlich alles andere als ein zu Hause aber am Anfang sind viele Flüchtlinge erstmal froh ein Dach über dem Kopf zu haben oder nicht mehr um ihr Leben fürchten zu müssen. Die afrodeutsche Dicherin May Ayim schreibt in ihrem Gedicht  „die unterkunft“:

nur ein paar wände
viele menschen dazwischen
ein dach obendrauf

keine blumen die
die fenster schmücken
keine bilder an der wand
kein teppichboden
neonlicht
tagein tagaus

graue innenseiten
auch die außenansicht
grau

fatima
sucht nachts nach händen
ihrer kinder
schreie
schrecken sie
aus jedem traum

in der fremde ist
die einsamkeit
in der ferne
ist die heimat
kein zuhaus

Viele dieser Flüchtlinge tragen Wunden in ihrer Seele, die noch nicht verheilt sind. Nicht immer sind diese Wunden sichtbar, aber wer oft mit diesen Menschen zu tun hat, wird sie früher oder später wahrnehmen. Deshalb sollten wir uns folgenden lateinischen Spruch zu Eigen machen: Porta pastet, cor magis, „Die Tür steht offen, mehr noch das Herz.“ Mit diesem Spruch begrüßten die mittelalterlichen Mönche Wanderer in ihren Klöstern.

Meine Mutter floh vor dem Terrorregime Idi Amins nach Deutschland. Ich wurde in Köln geboren. Mein Großvater mütterlicherseits (R.I.P.) gab mir den Acholi-Namen Otim, das bedeutet: „Der in der Fremde geborene“. Beim Volk der Acholi beschreibt der Name des Kindes oft die Lebensumstände, Probleme, Situationen der Mutter zur Zeit der Geburt dieses Kindes. So erzählen die Namen der Kinder oft episodenartig die Lebensgeschichte ihrer Mutter. Sie wirken wie die Zwischenüberschriften dieser Geschichte. Sieben Jahre nach dem Ende der Amin-Diktatur brach im Norden Ugandas, wo meine Eltern herkommen, ein zweiter, besonders grausamer, Bürgerkrieg aus indem viele Kinder ermordet wurden. Dieser Krieg, in der Region Acholi, dauerte über 20 Jahre. In dieser Zeit wurde Köln mein Lebensmittelpunkt.

Feld der Träume

Wie jeder Mensch habe ich mehrere Identitäten. Obwohl ich ne kölsche Jung bin, wie der Kölner sagt, fühle ich mich erster Linie als Ugander im Exil und habe immer noch eine starke soziale und kulturelle Bindung zu Uganda. Ich möchte die Gründe, die zu meiner Flucht aus Uganda führten, beseitigen. Dazu muss ich nicht unbedingt in Uganda leben, aber mit dem Land und seinen Menschen in Kontakt bleiben. Je länger ich in Deutschland lebe, desto stärker wird mein Wunsch die Lebensbedingungen in Uganda zu verbessern: Möglichst viele Menschen in Ugandas sollen den Lebensstandard erreichen, den viele Menschen in Deutschland bereits haben.

Heimat finde ich im Schatten der Mangobäume, wenn ich mit den Händen einen leckeren Teller Ugali mit Erdnusssoße und Hähnchen esse und dazu ein Glas klares Wasser trinke. Umringt von Familien, Freunden führe ich interessante Gespräche, mache Witze und lache viel. Dann fühle ich mich zu Hause.

Ich denke, dass kein Mensch im Land seiner Geburt leben muss um eine Heimat zu haben/zu finden. Heimat kann man sich teilweise selber schaffen. Manche Menschen haben das Glück, die Heimat die in ihrem Herzen und in ihrem Kopf ist, bereits gefunden zu haben. Den Menschen, die noch auf der Suche nach ihrer Heimat sind, wünsche ich, dass sie ankommen.

Das folgende kongolesische Lied ist eins meiner Lieblingslieder. Es heißt „Narudi Nyumbani“ (Ich gehe nach Hause zurück). Der kongolesische Musiker Remmy Ongala, hat dieses Lied in Suaheli geschrieben und gesungen.

Narudi Nyumbani (Ich gehe nach Hause zurück)

Weiterführende Links

Wann ist man deutsch?

Letzte Hoffnung Deutschland

In Thilostan will keiner leben

Immer mehr Flüchtlinge suchen in Deutschland Asyl

 

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

5 Kommentare

  1. Die einen kommen, die anderen gehen

    Meine Familie stammt aus Bayern. Im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg sind die alten Kirchenbücher gesammelt und man kann dort fast die komplette Geschichte meiner Familie einsehen.
    Trotzdem, Bayern war früher auch ein armes Land. Viele meiner Vorfahren sind deshalb nach Amerika ausgewandert, wie ich aus den Erzählungen meiner Eltern weiß. Wir erhielten auch schon Anfragen von uns unbekannten Amerikanern, die etwas über ihre deutsche Herkunft wissen wollten. Anscheinend ist Ahnenforschung in Amerika z. Z. der große Hit.
    In der Deutschen Auswanderer-Datenbank, die das Historischen Museum Bremen betreibt, kann man sogar das Schiff suchen mit welchem die Verwandten einst nach Amerika aufbrachen. Sie enthält die Daten von über 4,4 Millionen Auswanderern aus den Jahren 1820-1907.

    Mit Sicherheit sehen die Kinder und Enkel dieser Menschen die USA als ihre Heimat an. Wobei ich “Heimat” eher als Gefühl betrachte, als Erinnerung. Heimat ist für mich meine Kindheit, das Wogen der großen Kornfelder, der Duft nach Heu, Sommerabende am Fluss und die vielen Geschichten von “früher”, die mein Vater erzählte.

  2. @Michael Blume

    Hallo Michael!

    Vielen Dank für die Blumen. Als ich das erste Mal in Heidelberg war und meinen Kumpel Linguist besucht habe, hat er mir den Text von “Heidelberg” im Sommer am Ufer der Neckar vorgetragen. Da war das Lied noch nicht veröffentlicht. Das ist natürlich ganz was anderes als den Text hier zu lesen…

  3. @Mona/ Auswanderer-Datenbank

    Danke für den Hinweis mit der deutschen Auswanderer-Datenbank in Bremen! Ich finde Familiengeschichte kann ein spannendes Thema sein. Wenn ich Historiker wäre, würde ich direkt versuchen mit einem amerikanischen Historiker ein gemeinsames Forschungsprojekt diesbezüglich auf die Beine zu stellen.

  4. Ndizi (za nazi) na nyama ya ngombe!

    Heimat finde ich im Schatten der Mangobäume, wenn ich mit den Händen einen leckeren Teller Ugali mit Erdnusssoße und Hähnchen esse und dazu ein Glas klares Wasser trinke.

    Sifahamu kwa nini Waafrica wanapenda kula Ugali kabisa. Ndizi za nazi na nyama ya ngombe ni tamu, Bwana!

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