Glöckler und Goebel: Sinnfindung in Kinderkrankheiten

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Mir liegt das äußerst kuriose und stark anthroposophisch geprägte „Kindersprechstunde – ein medizinisch-pädagogischer Ratgeber“ von den beiden Medizinern Wolfgang Goebel und Michaela Glöckler vor. Glöckler leiter die medizinische Sektion des Goetheanums, dem Haupttempel und Hochschule der Steiner-Verehrer.

Buch Kindersprechstunde
Mein Exemplar der Kindersprechstunde

Das Leseerlebnis kann man am ehesten mit „verstörend“ beschreiben, insbesondere im Hinblick auf Krankheiten. Im Folgenden ein paar eindrückliche und ausführliche Zitate aus dem Wälzer in der 16. (!) Auflage von 2006, erschienen im Urachhausverlag. Vielleicht selektiere ich noch mehr Irres aus dem Buch, gerade zu Ernährungsfragen sind einige sehr skurrile Sachen dabei (Kartoffelgenuss verroht den Menschen!).

Das Krankheitsthema ist aber ungleich ernster, wenn man bedenkt, dass uns Impfgegner aus dem anthropsophischen Umfeld alljährlich mit gefährlichen Epidemien beglücken, an deren Folgen regelmäßig Menschen versterben.

Vom Sinn der Krankheit (Seiten 173 ff.)

Krankheit forme den Menschen, sie mache ihn menschlicher. Sie sei Bestandteil seines Schicksals und somit seiner Entwicklung. Diese Entwicklung sei im Kindesalter besonders wichtig, damit Körper und Seele später gut zusammenpassen.

Im Unterschied zum Tier ist es dem Tier nicht möglich, durch Leid und Schmerz Erfahrungen zu sammeln, die sein Lebens bereichern und ihm eine neue Entwicklungsrichtung weisen können. […] Der Mensch hingegen kann immer „noch menschlicher“ werden und sich zeitlebens weiterentwickeln. Dabei sind ihm Schmerz und Tod weckende Begleiter [!]. […] Insbesondere in der Kindheit geht es darum, wie sich das seelisch-geistige Wesen des Kindes in seinem Körper „inkarniert“ und sich darin „zu Hause“ fühlen lernt. […]

Warum wird man überhaupt krank? Die Antwort hat laut Autoren Rudolf Steiner: es ist nur die Konsequenz von Vergehen in früheren Leben, da nach dem Tod das Schicksal für ein neu reinkarniertes Erdenleben bestimmt wird. Die Krankheit hat also so etwas wie eine Karma-reinigende Wirkung.

Die wesentliche Frage ist daher, auf welchem Wege sich die spezifische Anfälligkeit für eine bestimmte Krankheit bildet. Diese Frage hat Steiner geisteswissenschaftlich erforscht[!]. Die diese Forschung auch das nachtodliche Leben und die Fragen nach der Wiederverkörperung und dem Schicksalsgang der Menschen mit einschließen, wird im Folgenden auch darauf Bezug genommen.

Rudolf Steiner beschreibt, wie der Mensch im Tode seinen physischen Leib ablegt, wie dann […] sich der Lebensleib langsam ablöst. […] Dann schließt sich die Herauslösung des Seelenleibes an […]. Hier erlebt der Mensch noch einmal alles, was er während seines seelisch durchgemacht bzw. „angerichtet“ [!!] hat. Es geschieht dies jedoch jetzt so, dass er […] alles dasjenige erfahren muss, was die anderen an ihm erlebt haben. […] Die Erfahrungen der Läuterungszeit dienen nicht nur einer Objektivierung der vergangenen Seelenerlebnisse, sondern sind zugleich auch als Ausgangspunkt für die Schicksalsgestaltung im darauffolgenden Erdenleben. […] Eine solche Art der Schicksalsbildung hat auch Konsequenzen für zukünftige Krankheitsanlagen. […] In religiösen Überlieferungen wird diesbezüglich dieses nachtodliche Leben auch von „Gericht“ gesprochen, das als ein „Richtig“- oder „Zurecht-Sehen“ verstanden werden kann. Dieses neue Verständnis ist es, das sich einprägt und auf dem weiteren Weg zwischen dem Tod und einer neuen Geburt auch zu einer bestimmten Krankheitsveranlagung führen kann.

Im Klartext: Wer in einem früheren Leben Schuld auf sich geladen hat, dem wird diese nach dem Tod für ein kommendes Leben eingeprägt. Es wird oben ganz klar von einer Bestrafung für „angerichtete“ Vergehen durch ein Gericht gesprochen. Als Folge seiner Missetaten arbeitet man nach einer Reinkarnation einen Teil dieser Schuld als Erkrankung ab. „Weiterentwicklung“, „menschlicher werden“ und „zu Hause fühlen lernen“ sind damit nur Umschreibung für den Prozess der karmischen Reinigung.[1]

Es gibt keine Hinweise darauf, dass Steiner mit seinen Einschätzungen richtig gelegen haben könnte. Nachzuprüfen sind sie auch nicht, bekanntermaßen ist die Anthroposophie immun gegen Kritik an Steinerschen geistes-„wissenschaftlichen“ Wahrheiten.

Folgen für das Impfverhalten

Anthroposophen, die diesen Quatsch glauben, lassen ihre Kinder also mit den besten Absichten gefährliche Kinderkrankheiten durchleiden. Allerdings: Krankheiten wie Masern und Pertussis können tödlich verlaufen. Dies sind Krankheiten, gegen die wirksame Impfungen existieren. Durch eine eventuelle Impfung wird dem Kind die karmische Reinigung jedoch vorenthalten und so in seiner Entwicklung und „Menschwerdung“ behindert – entsprechend werden sie skeptisch betrachtet oder sogar abgelehnt, womit sie sich, ihre Kinder und ihr gesamtes Umfeld einem unnötigen Risiko aussetzen.

Zurück zum Text. Voller Stolz wird (ab S.174) von einer schwedischen Studie berichtet, nach der Waldorfschüler häufiger an Masern erkranken und weniger Antibiotika verabreicht werden. Krankheiten sind eine gute Sache:

Aufgabe von Medizin und Pädagogik ist es, Bedingungen zu schaffen für eine möglichst gesunde Inkarnation. Dabei spielen die sogenannten Kinderkrankheiten eine wichtige Rolle. Sie helfen, bestimmte Bereiche des Körpers physiologisch „durchzuarbeiten“ und eingehender zu „individualisieren“. Damit wird das Zusammenspiel der Wesensglieder und ihre Gesetzeszusammenhänge neu angeregt und in unterschiedlicher Weise impulsiert: 

Kinderkrankheiten sind nichts schlechtes, und so haben anthroposopische Ärzte offensichtlich auch kein Problem dabei, einen Keuchhustenanfall in erschreckenden Details zu schildern (gegen Pertussis wird nur „auf Wunsch“ geimpft [S.249]):

[S.175:] Beim Keuchhusten dagegen werden in erster Linie die Atmungsorgane und deren Funktion neu erobert und die astralische Organisation um verstärkten Eingreifen veranlasst.  […] [S.166 ff:] Wie sieht ein typischer Keuchhustenanfall aus? Das Kind holt zwischen den Hustenstößen keine Luft mehr […] Dabei wird die Zunge rührenförmig um den Luftstrom gestreckt da Gesicht schwillt an und verfärbt sich bläulich. Nach einigen Sekunden, die den besorgten Zuhörern immer viel zu lange werden [!], kommt dann eine lange, ziehend-juchzende Einatmung zwischen den verkrampften Stimmritzen zustande. […] Bei sonst gesunden Kindern haben wir sogar schon jenseits des dritten Monats oft auf Antibiotikavorsorge verzichten können. […] Die Gabe von Antibiotka ist allenfalls bei geschwächten Kindern während einer zusätzlichen Lungenentzündung oder zur Verhütung der Ansteckung eines Säuglings angezeigt.

Aber es ist ja nur zum Besten für das Kind. Kann mir jemand sagen, was an dieser Form der „Menschwerdung“ nicht absolut unmenschlich ist? Aber den größten Hammer bringe ich zum Schluss:

Im Anschluss an einen Keuchhusten beobachtet man besonders bei Kindern, die vorher schlechte Esser waren, dass sie plötzlich einen außerordentlich guten Appetit entwickeln.

Muss man das kommentieren?

[1]Ein Nebenaspekt dieser Einstellung ist natürlich, dass die Ursache der Erkrankung perverserweise auf den Erkrankten selbst abgewälzt wird, was möglicherweise gerade schwerkranke Menschen belasten könnte: „Was bin ich nur für ein schlechter Mensch (gewesen)?“

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

2 Kommentare

  1. Tja, wenn die Kleinen kränkeln, ist das für uns Erwachsene fast schlimmer als wie für die Knirpse selber. Sehr gerne würde man Ihnen die altbekannten Leiden doch abnehmen. Liebe Grüße und weiter so. Für wertvolle Tipps bin ich immer dankbar.

  2. Bin derselben Meinung wie die Autoren dieses Buches.
    Oberflächliche ballaksche Wichtigtuerei ist nicht wirklich ernst zu nehmen

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