Nicht jeder gleichgeschlechtliche Sex ist Homosexualität

BLOG: Fischblog

Wissenschaft für alle
Fischblog

Einige Neurobiologen berichten in Nature Neuroscience, sie hätten mit gentechnischen Methoden schwule Taufliegen erzeugt. Im Zentrum ihrer Arbeit steht ein Gen namens genderblind, das sie bei einigen Taufliegen ausgeschalten haben, mit dem Resultat, dass die Fliegenmännchen anfangen, ihre Geschlechtsgenossen zu befummeln, belecken, begatten.

In ihrer Pressemitteilung behaupten die Wissenschaftler, sie seien damit der Ursache von Homosexualität möglicherweise ein Stück näher gekommen. Sie können nach eigenen Angaben Homosexualität bei Drosophila systematisch an- und ausschalten.

Bei näherer Betrachtung sieht das allerdings ein bisschen anders aus, denn genau genommen wählen die veränderten Fliegen keine gleichgeschlechtlichen Partner – im Gegenteil, sie verlieren die Fähigkeit, die Geschlechter zu unterscheiden.

Bild: Avis James, Gary Wolsieffer / Proceedings of the National Academy of Sciences of the U.S.A. (mit frdl. Genehmigung)

Damit ist der Begriff Homosexualität hier auf jeden Fall schon mal fehl am Platz. Einen Hinweis auf die tatsächlichen Hintergründe liefert schon der Name des neu entdeckten Gens: genderblind. Fliegen, bei denen dieses Gen ausgeschaltet ist, zeigen tatsächlich abnormes Paarungsverhalten.

Sie baggern alles an, was ihnen über den Weg läuft, ob Männlein oder Weiblein[1], weil ihnen das vom Gen codierte Protein fehlt. Sie sind durch das Fehlen des Proteins schlicht nicht mehr in der Lage, das Geschlecht ihres potentiellen Partners sicher zu bestimmen. Das tun sie über unterschiedliche chemische Reize, und genderblind hilft dabei.

Weitere Versuche, diesmal mit Nahrungsmitteln in Duftfallen, zeigten den eigentlichen Effekt des defekten Gens: Die Fliegen verloren bei jedem olfaktorischen Stimulus vollkommen die Kontrolle und landeten doppelt so häufig in den Fallen wie normale Taufliegen. Genauso geht es den Fliegen wahrscheinlich auch beim Sex. Alles was nach Fliege riecht, wird genommen, frei nach dem Motto: Passt schon irgendwie.

Das genderblind-Protein ist ein Transportprotein für die Aminosäure Glutamat. Es wird von Gliazellen gebildet, die mit glutamatergen Neuronen assoziiert sind. Die wiederum sind, das zeigen jedenfalls die Untersuchungen, bei Drosophila wesentlich an der Wahrnehmung von Gerüchen[2] beteiligt. Die Forscher vermuten, dass das Protein die Konzentration extrazellulären Glutamats steuert, in dem die Nervenzellen praktisch baden.

Der Sinn der Sache sei vermutlich, die Glutamatrezeptoren der Nervenzellen permanent ein bisschen zu desensibilisieren, um ein Überschießen der Reizwahrnehmung zu vermeiden. Denn genau das passiert, sobald die Herstellung des Glutamat-Transporters durch RNA-Interferenz unterbunden wird: Die Fliegen fliegen sofort wieder auf alles, was fliegt. Ähnlich sieht es aus, wenn die Wissenschaftler den Desensibilisierungseffekt des Glutamats pharmakologisch unterdrücken.

An diesem Punkt wird es auch für uns interessant, denn in unseren Gehirnen gibt es ebenfalls glutamaterge Neuronen, die von Gliazellen in einer genau austarierten Glutamat-Konzentration gehalten werden. Und die schwankt durchaus räumlich und zeitlich – mit vielfältigen Folgen für die Funktion der betroffenen neuronalen Schaltkreise und damit unser Verhalten. Das Zirbeldrüsenhormon Melatonin, das bekanntermaßen den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert, verändert unter anderem die Glutamat-Aufnahme, soviel sei hier zu diesem Thema gesagt.

Einen praktischen Nutzen hat diese Entdeckung derzeit noch nicht – die amerikanischen Militärs können ihre Pläne für die Gay Bomb also wieder in die Schublade packen. Der Leiter des Teams, David Featherstone von der Universität Chicago, hofft allerdings darauf, mit diesen Erkenntnissen irgendwann den Geruchssinn von Fruchtfliegen gezielt manipulieren zu können. Wie und wozu, leuchtet mir allerdings noch nicht so recht ein.
.
.
.
[1] In den Paarungsversuchen kamen übrigens auch geköpfte Geschlechtspartner zum Einsatz, was beweist, dass Fruchtfliegen in solchen Dingen nicht besonders wählerisch sind. Ich fände das jedenfalls nicht besonders anregend.

[2] Streng genommen geht es nicht nur um Gerüche, sondern um alle Sinne, die auf bestimmte Chemikalien ansprechen: Geruch, Geschmack und die Chemosensoren überall am Körper der Fliegen, die uns zum Glück erspart geblieben sind.

7 Kommentare

  1. Militär ist albern!

    Der Überzeugung bin ich schon lange, nach Lektüre der “Gay Bomb”- Pläne noch mehr. Nebenbei: Friedrich II hat ständig Kriege geführt – und war was? Genau: schwul. Hilft gar nix.
    Im übrigen wieder mal Dank für einen von Laien verstehbaren, interessanten Artikel!

  2. Tja…

    …um auf die eigenen Forschungen aufmerksam zu machen, werden sie halt gerne an aktuelle Debatten “angedockt” – beispielsweise die Diskussion um die Vererbbarkeit von Homosexualität. Schaut man dann näher hin (danke, Lars!), sieht das dann oft schon wieder anders aus.

    Ich schwanke da immer, wie ich das finden soll. Menschlich ist es verständlich und es könnte ja immerhin viele Diskutanten verführen, sich überhaupt mit Wissenschaft zu beschäftigen. Andererseits sehe ich die Gefahr, dass der Respekt vor Forschungen sinkt, wenn alle paar Wochen ein weiterer wissenschaftlicher Tiger als Bettvorleger landet.

    Wissenschaftsjournalisten, die einerseits kundig und verständlich vermitteln, andererseits aber auch Hoaxe aufdecken und “sieben” können, scheinen mir da eine wachsend wichtige Position einzunehmen…

  3. Erratum

    Drosophila gehört zu den Taufliegen, nicht zu den Fruchtfliegen, wie fälschlicherweise in der ursprünglichen Version des Artikels zu lesen war.

  4. Marketing und Wissenschaft @ Blume

    danke schön für Ihre Ausführungen. Würde gerne auf meiner Website ggf. spiegeln oder darauf hinweisen, sofern erlaubt ;-)).
    Irgendwo traurig, dass man wissenschaftliche Ergebnisse genau hinterfragen muss, wenn sie so um die Aufmerksamkeit der Medien buhlen.

    Leider darf man Wissenschaft zwischenzeitlich nur noch so ernst nehmen, wie man die Forschungsunterlagen selbst geprüft hat. Und das ist wohl unrealistisch…..

    M. Blume: “Andererseits sehe ich die Gefahr, dass der Respekt vor Forschungen sinkt, wenn alle paar Wochen ein weiterer wissenschaftlicher Tiger als Bettvorleger landet.”
    … drückt alles aus – herrliche Formulierung ;-))und eigentlich unendlich traurig, weil sie die Realität trifft:

    zumindest in Kreisen, die sich der fundierten wissenschaftlichen Arbeit verpflichtet fühlen schwindet der Respekt vor der “neuen” Forschung tatsächlich immmer mehr.

    Bleibt nur noch zu wünschen, dass Wissenschaftsjournalisten so titeln, wie Herr Fischer: “Schwul ? Oder nur was in der Nase?” Diese Titulierung trifft den Sachverhalt mit 7 Worten!…. und weckt sofort das Interesse… Meine ganzen cerebralen Aufmerksamkeitssysteme sind jedenfalls sofort darauf angesprungen ……das ist dann wissenschaftliche Analyse par excellence, mit der Beigabe einer seriösen Form des “Wissenschafts-Marketings” – Danke

  5. @ Michael:
    Das ist genau das große Problem. Deswegen erzähle ich ja auch immer wieder, dass Wissenschaftsjournalisten heutzutage unbedingt in der Lage sein müssen, zumindest Grobe Schnitzer in Papers zu erkennen.

    @ Monika Armand:
    Selbstverständlich darf man heute keiner Publikation mehr trauen, die man nicht gelesen hat. Das ist inzwischen normal.

    Der Spiegel-Artikel liegt übrigens falsch: Es ist nicht die Aufgabe des Peer-Reviews, derartige Rechercheschnitzer aufzudecken. Das kann das System auch gar nicht leisten. Der Peer-Review prüft hauptsächlich, ob das Paper formalen Kriterien genügt und oft auch ob die Argumentation schlüssig ist.

    Fehler findet der Peer Review nur in Ausnahmefällen.

  6. @Armand und @Fischer

    Sowohl Neuropädagogik wie auch die WISSENSlogs sind seit soeben auf meiner Blog- und Pageroll. Schon toll, was Ihr hier so aufzieht! (-:

    Übrigens: Gehörte es nicht zu den Hauptvorwürfen klassischer Wissenschaftskommunikation, das Internet biete keine Qualitätskontrolle auf die eigenen Inhalte? So, wie ich das sehe, kontrollieren einige Artikel gerade auch der Wissenslogs inzwischen sogar klassische Angebote auf Qualität…

Schreibe einen Kommentar