Gerechtigkeit: Ungleicher Lohn = Streik

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Menschen legen Wert großen Wert auf Gerechtigkeit, und wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, dann schmollen sie. Lokführer zum Beispiel. Damit sind sie nicht allein, wie wir in einer Proceedings of the National Academy of Sciences lesen.

Die Verhaltensstudie amerikanischer Wissenschaftler führt uns zu den evolutionären Wurzeln des Gerechtigkeitsempfindens, und so gesehen auch zu den tieferen Ursachen der derzeitigen Unerfreulichkeiten, denen Bahnreisende im Moment regelmäßig ausgesetzt sind. Denn im Grunde geht es um ein einfaches Tauschgeschäft: Arbeit gegen Belohnung.

Bei so was sind Menschen empfindlich, und nicht nur die. Die Studie an Kapuzineraffen (Cebus apella) hat nicht nur gezeigt, dass die Tiere ein angebotenes Tauschgeschäft auch mal ablehnen, wenn es ihnen ungerecht vorkommt, sondern auch, welche Angebote die Tiere unfair finden.

Derartige Studien laufen nach einem bewährten Muster ab. Der Forscher bietet den Affen ein einfaches Tauschgeschäft an: Essensmarke gegen Futter. Nun ist das Futter, das die Tiere angeboten bekommen, nicht immer das gleiche. Manchmal gibt’s Gurke, manchmal leckere Weintrauben. Nun sind Affen nicht doof, und wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, verweigern sie den Tausch und essen lieber gar nichts. Genau wie Menschen.

Nach welchen Kriterien Affen einen Tausch jedoch als fair bewerten, ist Gegenstand wider-streitender Hypothesen. Es gibt die Gier-Hypothese, die Frust-Hypothese und die Ungleichheits-Hypothere, die sich darin unterscheiden, womit die Affen das Angebot vergleichen: Mit dem, was noch so zu bekommen wäre (Gier), was sie vorher bekommen haben (Frust) oder was der Nachbar bekommt (Ungleichheit).

Mit entsprechend aufgebauten Versuchen kann man den Unterschied relativ einfach erkennen, und genau das hat Megan van Wolkenten von der Emory University in Atlanta getan. Sie hat paarweise gehaltenen Affen Futter für Gegenleistung geboten und die Belohnung variiert, um die Effekte der drei möglichen Motivationen auseinanderhalten zu können.[1]

Das Ergebnis ist recht eindeutig: Kapuzineraffen nehmen gerne die Gurke, auch wenn eine Weintraube in der Nähe ist oder sie beim letzten Tausch eine Traube bekommen haben. Aber wenn der Nachbar eine Traube bekommt, dann sind sie beleidigt. Und zwar umso beleidigter, je mehr Arbeit sie haben, um an die Belohnung zu kommen.

Die Beurteilung von Gerechtigkeit nach dem, was andere für gleiche Leistung bekommen, ist also uraltes evolutionäres Erbe. Dass die Lokführer jetzt so hartnäckig streiken, mag wohl auch daran liegen, dass sich das Einkommen eines gewissen Bahnchefs letztes Jahr glatt verdoppelt hat.

Vielleicht hätte Herr Mehdorn sich besser ein bisschen mehr mit Verhaltensforschung befasst. Jetzt hat er den Salat.
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[1] Ich überlasse es euch als kurzweilige Gedankenübung, über ein mögliches Studiendesign nachzudenken.

11 Kommentare

  1. Gemeinsamkeiten…

    Daß Primaten ein hochkomplexes Sozialverhalten aufweisen und auch das Sozialgefüge innerhalb der einzelnen “Herden” sehr fein austariert ist, ist ja allgemein bekannt und auch nicht weiter verwunderlich.

    Daß allerdings ein Neidverhalten als Reaktion auf wahrgenommene Ungerechtigkeit auch experimentell feststellbar ist, ist mir neu. Spannend!

    Mal sehen, ob die beleidigten Lokführer dem dicken Rudelführer Mehdorn ein paar Zuckerl abtrotzen können…

  2. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

    Hervorragende Studie! Ich denke, die evolutionären Wurzeln des Gerechtigkeitsempfindens sind ein weiterer, anschaulicher Beleg dafür, wieviel Natur in unserer Kultur steckt.

    Die politische Forderung “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” wirft jedoch eine Vielzahl moralischer und ökonomischer Probleme auf. Wann handelt es sich wirklich um “gleiche Arbeit”? Bei zwei Lokführern mag es noch einfach sein. Doch was ist mit zwei Schauspielern? Ist es beispielsweise gerecht oder ungerecht, dass ein mittelmäßiger Schauspieler wie Tom Cruise für die scheinbar “gleiche Arbeit” weit mehr Geld verdient als ein hervorragender Schauspieler wie John Malkovich?

  3. Meiner Meinung nach umgeht sowohl der biologische Gerechtigkeitssinn als auch die politische Forderung derartige Probleme in der Praxis dadurch, dass sie umgekehrt funktionieren: Angestrebt wird nicht quantitative Gleichheit (die aus den genannten Gründen nicht zu realisieren ist), sondern eine qualitative Aufhebung der Ungleichheit.

  4. “Qualitative Aufhebung der Ungleichheit”

    Ich versteh’ noch nicht ganz. Was ist mit der “qualitativen Aufhebung der Ungleichheit” genau gemeint?

  5. Verstehe! Ich habe in der morgigen WELT einen kurzen Gastkommentar zu der Frage, warum Frauen weniger als Männer verdienen. An dem “Gehaltsgefälle” zwischen Männern und Frauen kann man, denke ich, ganz gut prüfen, welche Einkommensunterschiede legitim oder hinnehmbar sind.

  6. Gerechter Lohn

    Unser moralempfinden von den Regeln der Güterverteilung ist evolutionär gewachsen. Der Mensch überlebte vor 20 000 Jahren kaum allein, sondern lebte in Gruppen zu 30 bis 100 Personen. Jeder Einzelne war für die gesamte Sippe wichtig, mancher sogar überlebenswichtig. Der bekam von der Beute das größte Stück. Das war gut so, denn wenn der Führer der Gruppe ausfiel waren alle in akuter Gefahr. Aber spätestens wenn er satt war bekamen alle anderen auch etwas und er brauchte nichts mehr. Auch das schwächste Glied in der Sippe wurde durchgefüttert, weil auch er gebraucht wurde, und sei es nur zum Feuerholz sammeln oder zum Wache stehen. In dieser Gewissheit lebten die Menschen. Unsere Gene sind heute noch so geprägt.
    Wer leistet was für welchen Lohn?
    Was ist gerecht? Wer dient unserer Sippe womit und in welchem Maß?
    Mehr? http://www.dpast.de

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