Die Sache mit den Kaninchen

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Tja, da recherchiere ich zwei Tage hinter der Karnickel-Geschichte hinterher, und dann wird sie von der Chefredaktion gekillt. Na Danke. Auf jeden Fall erhebt die internationale Tierschutzorganisation Vier Pfoten schwere Vorwürfe gegen die Handelsketten REWE und Edeka.

Es geht um Kaninchen und die Bedingungen, unter denen die Tiere in den Mastbetrieben vegetieren. Stern TV zeigte am Mittwoch Filmdokumente der Zustände in Käfigbatterien von Kaninchenmastbetrieben. In zweistöckigen, offenen Drahtverschlägen hocken Kaninchen zu mehreren auf engstem Raum aufeinander. Unter den Käfigen türmen sich die Exkremente der Tiere zu hohen Haufen. Durch die Enge werden die Tiere aggressiv und verletzen sich gegenseitig, haben verätzte Augen und eiternde Wunden. Tote Tiere bleiben einfach in den Käfigen liegen, undsoweiterundsoweiter. Das ganze Tiermast-Elend eben, hier ein älteres Video.

Nach Angaben des Vereins stammen die aktuellen Filmaufnahmen aus ungarischen Mastbetrieben, die unter anderem Rewe und Edeka beliefern. Interessant ist das vor allem deswegen, weil Vier Pfoten solche Aufnahmen 2007 schon mal veröffentlicht hat. Damals haben die betroffenen Unternehmen Maßnahmen eingeleitet, um die Situation in den Mastbetrieben zu verbessern. Nach Angaben der Tierschützer hat sich dadurch aber kaum etwas geändert.

Wer lügt?
Edeka und REWE weisen diese Vorwürfe jedenfalls entschieden zurück. REWE habe schon 2007 auf diese Zustände reagiert und vermarkte ausschließlich Kaninchenfleisch aus Betrieben, die von der Gütegemeinschaft Ernährung (GGE) und zertifiziert seien, schrieb mir Andreas Krämer, Stellvertretender Pressesprecher bei REWE. Auch Edeka-Sprecher Alexander Lüders, mit dem ich gestern telefoniert habe, verweist auf die Gütegemeinschaft Ernährung und die von ihr beauftragte Prüfstelle Ovo-Cert, die noch im September und Oktober die von Vier Pfoten angeprangerten Schlachthöfe und Zulieferer geprüft habe.

An den Kriterien, nach denen die Betriebe beurteilt werden, haben die Tierschützer nach Angaben von REWE mitgearbeitet. Das macht die Sache natürlich insofern Pikant, dass hier ein Partner den anderen flagrant hintergeht. Entweder unterläuft die Industrie die Vereinbarung über die Tierschutzmaßnahmen, oder Vier Pfoten fällt den Industriepartnern hier in den Rücken, um die eigenen Ziele zu befördern. Letzteres jedenfalls unterstellt die GGE-Unterorganisation „Qualitätsgemeinschaft Kaninchen“ in einem Rundschreiben. Da heißt es:

Ganz offensichtlich wurden erneut von den Vier Pfoten bewusst alte Bilder an Stern TV herangetragen, um eigene Kampagnen der Freilandhaltung von Kaninchen voranzutreiben.

Wenn mit „alt“ hier allerdings gemeint sein sollte, dass die Aufnahmen noch vom letzten Skandal 2007 stammen, dann stimmt die Behauptung der GGE nicht. Stern TV besteht darauf, die Bilder geprüft zu haben „sonst hätten wir das gar nicht gesendet.“ In einem der Filme sei außerdem eine Bild-Zeitung von April 2008 zu sehen gewesen. Ich bin geneigt, Stern TV zu glauben, schon weil ich mir kaum vorstellen kann, dass sie blöd genug sind, sich faule Aufnahmen andrehen zu lassen. Stichwort juristisches Risiko.

Ich habe dann natürlich auch mal bei Vier Pfoten nachgefragt, ob sie die Edeka/REWE-Connection denn auch beweisen können und was von der Sache mit der GGE-Zertifizierung zu halten ist. Dabei bin ich auf einen Herrn Müller gestoßen, der das Kaninchen-Gebiet nach eigenen Angaben seit über einem Jahrzehnt beackert und auch die jetzt veröffentlichten Aufnahmen gemacht hat. Streng beweisen, sagt er, könne man es nicht. Aber…

Woher kommt das Kaninchen?
Die Sache ist die, dass die letztendliche Herkunft des Kaninchens nicht deklariert werden muss. Auf der Verpackung muss von Rechts wegen der Schlachthof angegeben werden – in Form der Identifikationsnummer – in diesem Fall ist das der ungarische Schlachter BÁCSA Agrárpari, HU115. Vier Pfoten bestreitet nicht, dass BÁCSA Agrárpari zertifiziert ist. Allerdings weist Herr Müller mich auf die Liste der am Zertifizierungsprogramm der GGE teilnehmenden Betriebe hin, und insbesondere auf die erstaunlich geringe Anzahl ungarischer Mastbetriebe in dieser Liste. Wie wahrscheinlich sei es denn, dass ein Großschlachthof wie BÁCSA Agrárpari von lediglich drei Mastbetrieben beliefert werde, fragt er. Es gebe außerdem eine dokumentierte Aussage des Betreibers des gefilmten Mastbetriebes, dass er eben jenen Schlachthof beliefere. Schließlich könnten drei Mastbetriebe all das Kaninchenfleisch gar nicht liefern, das bei Edeka und REWE in den Regalen liegt.

Beziehungsweise nicht in den Regalen liegt. Ich war nämlich eben beim Edeka-Schlemmermarkt Bergstraße am Rathaus, und die führen gar kein Karnickel. Nachher werde ich noch mal losgehen und versuchen, bei Edeka oder REWE Kaninchen in die Hand zu bekommen, um zu sehen, welche Herkunftsangabe draufsteht. Wenn sich dieses Muster fortsetzt, stellt das zumindest das Volumenargument von Vier Pfoten in Frage.

So ganz bissfest ist die Verbindung zwischen den gefilmten Kaninchenmästern und deutschen Handelsketten also nicht, auch wenn die Argumente von Herrn Müller nicht von der Hand zu weisen sind. Warum zum Beispiel ist bei Hühnern der konkrete Mastbetrieb angegeben, bei Kaninchen aber nicht? Technisch ist das sicherlich möglich. Müller jedenfalls unterstellt eine Verschleierungstaktik: Die Tierschutzkatastrophe passiere nicht im Schlachthof, sondern in den Mastbetrieben. Und in die guckt die GGE auch nach eigenen Angaben praktisch nicht hinein.

Artgerechte Kaninchenhaltung würde auch das nicht sicherstellen, räumt jedenfalls der Pressesprecher von REWE in seiner Erklärung ein. Die gegenwärtige Käfighaltung sei trotz der GGE-Kriterien nicht artgerecht. Es gebe aber schlicht keine kurzfristige Alternative dazu, die in der Lage sei, die erforderlichen Mengen zu liefern.

7 Kommentare

  1. Kaninchen-Haltung

    Leider ist es nun einmal so, dass nicht alle Kaninchen von Kindern als Haustier gehalten werden und ein glückliches Leben führen. Auf der einen Seite haben Organisationen, wie Vier Pfoten ja Recht, aber der Zweck heiligt eben doch nicht jedes Mittel. Und man muss bei seinen PR-Kampagnen einfach bei der Realität bleiben. Nur so erhält man seine Glaubwürdigkeit und kann weiter die Moral-Keule schwingen.

  2. Die Verschleierung der Tatsachen!

    Wieso geht denn die Kaufland-Kette auf die angebilch falschen Anschuldigungen von Vier Pfoten ein und startet diesbezüglich ein Pilotprojekt mit Kaninchen in Artgerechter Haltung? Mein Tipp: Einfach mal über den Tellerrand schauen und ein bischen logisch denken, grad was die in meinen Augen verlogene Edekawerbung angeht (“Wir lieben Lebensmittel” u.ä.)!

  3. Ist Kaninchenfleisch notwendig?

    Eine Alternative wäre, einfach kein Kaninchenfleisch zu kaufen, dessen Herkunft zweifelhaft ist. Die Konsumenten bestimmen immer noch selbst, welchen Dreck sie essen (oder eben nicht essen), und wenn etwas nicht gekauft wird, wird es auch nicht mehr produziert. So einfach ist das.

    Ansonsten: danke für den Beitrag!

  4. Das ganze beschränkt sich ja nicht nur auf Kaninchen! Auch in Sachen Gänse gab es ja schon einige Proteste in Richtung Edeka. Die sollten mal lieber mehr Aufwand in die Pberprüfung ihrer Versprechungen als in die Werbung legen. War eigentlich immer recht zufrieden in den Läden, aber jetzt werde ich auch immer zweimal hinschauen!

  5. In meien Augen liegt das Problem darin, dass man es sich auf Seiten der Handelsketten sehr leicht macht, und sich auf Zertifikate beruft oder berufen kann. Wir Verbraucher in der Gesamtzahl machen es ihnen aber auch zu einfach. Ich behaupte mal, dass dem größten Teil der Kundschaft die Haltungsbedingungen beim Kauf keine Rolle spielen. Vielleicht erkennt ja mal einer der Großen dies und wird hier präventiv tätig und wirbt vielleicht damit: “…und dafür stehe ich mit meinem guten Namen ein…”! Ansonsten habe ich da nicht große Hoffnung, dass sich etwas ändern wird. Bei Kommerz gegen Tierschutz steht leider der Verlierer leider immer von vornherein schon fest.

  6. @Sebastian: als ob von Kindern gehaltene Tiere artgerecht gehalten wären…. ich kenne eigentlich nur Gegenbeispiele — vor allem, wenn die Eltern nicht >80% der anfallenden Arbeit machen. Einzelhaltung, Stundenlanges durch-die-Gegend-getragen-werden, die-meiste-Zeit-in-Mini-Käfig-sitzen, einseitig-ernährt-werden (Löwenzahn jeden Tag, kein Heu, kein Gemüse, …) und wenn’s hochkommt 1-Quadratmeter-vergitterter-Auslauf sind auch nicht das, was ich unter “artgerecht” verstehe. Grab- und Versteckmöglichkeiten sind bei keinem einzigen der mir bekannten privat gehaltenen Kaninchen vorhanden, bei vielen nicht mal Auslauf auf Gras o.ä.
    Dafür geht es hin bis zu Kaninchen, die von den Kindern im Garten rennen gelassen wurden und die Kinder (Alter: ca. 8-12) dann versuchten die “Hasen” einzufangen, indem sie sich auf die Tiere warfen… (die Eltern haben zugesehen!)

    Ja, Mastbetriebe sind möglicherweise “noch weniger” Aartgerecht, aber gerade das was Kinder mit Tieren anstellen ist auch nicht gerade ein positives Gegenbeispiel.

  7. Misstände nicht nur bei Kaninchen.

    Die Bilder bei sternTV waren erschreckend – die Haltung der Kaninchen jenseits von gut und böse. Es ist nicht verständlich, warum solche Betriebe nicht schon vorher von den Behörden geschlossen wurden.
    Doch man muss sich auch bei dem Verzehr von anderem Fleisch fragen, woher stammen die Kühe oder Schweine…

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