Birma: Lernt jemand draus?

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Fünf Tage nach dem verheerenden Wirbelsturm Nargis, der die Küste von Birma unter einer etwa vier Meter[1] hohen Sturmflut verschwinden ließ, wird das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich: Zehntausende Tote allein durch die Überschwemmungen, Hunderttausende sind ohne Nahrung, Trinkwasser oder auch nur ein Dach über dem Kopf. Die Reisernte, gepflanzt im Januar, ist vernichtet, und das paranoide Regime dort behindert Hilfsorganisationen, wo sie nur kann.

Das bedrückendste an der ganzen Geschichte ist allerdings, dass derartige Ereignisse absolut vermeidbar sind – und gerade deswegen in Zukunft noch häufiger auftreten werden.

Wie jeder mitdenkende Leser sich bereits denken kann, geht es um Mangroven. Dass Mangrovenwälder Küsten vor Überflutung schützen, gilt schon seit geraumer Zeit als ausgemacht. Umso erstaunlicher ist der Umstand, dass es bis 2005 für diesen Allgemeinplatz keine wirklichen empirischen Belege gab. Am 21. Juni erschien dann allerdings in Current Biology eine Studie von Dahdouh-Guebas et al. (gefunden bei The Lay Scientist), die den Schutzeffekt der Mangrovenwälder am Beispiel des Weihnachts-Tsunami 2004 untersuchten.

Wenig überraschend ist das Ergebnis: Mangroven schützen. Beeindruckend dagegen zum einen die Widerstandskraft der Pflanzen. Einem gesunden Mangrovenwald konnte der Tsunami, der weit über 200.000 Menschen in den Tod riss und Milliardenwerte vernichtete, praktisch nichts anhaben.

Our results show that … apart from some isolated trees … there were no records of uprooted adult mangrove trees. At most, mangrove fringes near the water edge took all the energy and were damaged.

Man könnte ja auf die Idee kommen, dass der Wirbelsturm auch mit Mangrovenschutz noch einigermaßen verheerend gewesen wäre. Nach Zahlen der Umweltorganisation IUCN reduziert ein gesunder Mangrovenwald die Opferzahlen jedoch um den Faktor tausend (pdf):

Kapuhenwala and Wanduruppa, two villages in the lagoon of southern Sri Lanka, show the importance of mangroves in saving lives: in Kapuhenwala, surrounded by 200 hectares of dense mangroves and scrub forest, the tsunami killed only two people – the lowest number of tsunami related fatalities in a Sri Lankan village. Wanduruppa, surrounded by degraded mangroves was severely affected: 5,000 to 6,000 people died in the district.[2]

Man kann angesichts dieser Zahlen sagen, dass zwar der Sturm höhere Gewalt, die Opferzahl dagegen vollständig menschengemacht ist. Kaum zwei Monate, nachdem das Paper von Dahdouh-Guebas erschienen war, versank New Orleans in den Fluten des Hurricans Katrina. Auch dort spielte – neben der Landabsenkung und maroden Deichen, die Zerstörung der küstennahen Marschen eine wesentliche Rolle.

Preisfrage: Hat irgendjemand etwas daraus gelernt?

Ein Jahr nach Katrina stellt eine Gruppe von US-Umweltorganisationen trocken fest (pdf):

Given the economic importance of this extraordinary delta and its unique urban communities (first and foremost New Orleans), we had reason to expect a clear commitment to its restoration. Sadly, the nation has not risen to the challenge.

Im Rest der Welt sieht es nicht besser aus: Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO gingen seit den 80er Jahren weltweit 3,6 Millionen Hektar Mangroven, etwa ein Fünftel des Gesamtbestandes, zugrunde. Derzeit werden jährlich weitere hunderttausend Hektar zerstört.[3]

Katastrophen wie die jetzige wird es also nicht nur immer wieder geben, wegen der großen Bedeutung der Mangroven und der beträchtlichen Rate ihrer Zerstörung steigen die potentiellen Opferzahlen solcher Sturmfluten zusätzlich kontinuierlich. Während in Burma die Aufräumarbeiten anlaufen, ist der nächste Killersturm schon fest gebucht. Mit Ansage nennt man so was dann.
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[1] Quelle: Weather Underground

[2] Nein, natürlich nehme ich Zahlen aus einer Pressemitteilung einfach so für bare Münze.

Dear Sir or Lady,

I just read an IUCN press release from December 19, 2005 (http://www.iucn.org/en/news/archive/2005/12/mangrove_iucn_tsunami_pr.pdf) in which you describe the effects of the 2004 Tsunami on two Sri Lankan villages.

You claim that while in the mangrove-protected village of Kapuhenwala just two people were killed, while in another village surrounded by destroyed mangroves several thousand people died. I would like to know if this research appeared in a peer-reviewed publication.

Best regards,

Lars Fischer

Ich halte euch auf dem Laufenden. 😉

[3] Durchschnittliche jährliche Waldvernichtung in den Jahren 2000 bis 2005, Quelle: FAO.

11 Kommentare

  1. Lernen hat etwas mit feedback zu tun, weniger mit der Fähigkeit zu Einsicht oder Dummheit. Solange die Investoren, die vom Abholzen der Wälder profitieren keine Risiken spüren, werden sie weitermachen. Diejenigen, die dem Sturmflutrisiko unterliegen, haben dagegen keinen Einfluss auf die Küstengestaltung. Regierungen, die das regeln könnten, handeln in der Regel eher im Investoreninteresse. Das Auftreten von Naturkatastrophen (Elbeflut) ist für Regierungen eher positiv, da es das Wahlvolk von Themen wie Arbeitslosigkeit, Inflation und Steuerverschwendung ablenkt.

  2. Naja,

    das mag für einige Länder zutreffen, aber nicht für alle. In vielen Staaten, z.B. den USA, haben die Küstenbewohner sehr wohl Einfluss auf derartige Entscheidungen.

    Wir sehen ja gerade am Beispiel der Flusshochwasser in Deutschland, dass auch bei den direkt Betroffenen kein wirklicher Lerneffekt eintritt.

  3. Leider, leider….

    …fällt mir da nur Sokrates ein:

    “Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen.”

    Angesichts der vielen Gelegenheiten, bei denen Gesellschaften schon aus den Folgen der selbstverursachten Probleme hätten lernen können, und es nicht getan haben, würde ich nun nicht auf ein Wunder hoffen wollen. Zumal das birmanische Regime nicht gerade in dem Ruf steht, besonders aufgeschlossene und zielführende (Umwelt-)Politik zu betreiben….

  4. … instrumentalisiert?

    In Banda Aceh hätte ein Mangrovenwald vor der Küste wohl wenig geholfen. Aber an anderen Küsten bestimmt. Evtl. auch deshalb, weil ein Mangrovenwald verhindert, dass unmittelbar an der Küstenlinie gebaut wird. An der Nordseeküste baut man ja auch nicht vor der Deichlinie …

  5. @Harald Andresen

    Ja, ‘instrumentalisiert’ halte ich für das zutreffende Wort. Einem Mangrovensaum allein zu dessen Erhaltung Schutzwirkungen anzudichten, die dieser nicht hat, das dient den dahinter lebenden Menschen sicher nicht.

    Nimm zB mal den Ort Migyaungaing (Detailkarte 10) hier:
    http://unosat.web.cern.ch/…7May08_Highres_v1.pdf

    Zwar hinter einem breiten Gürtel angeblich schützender natürlicher Vegetation gelegen, aber die ca. 330 Gebäude sind von den Fluten vollständig beschädigt oder zerstört. Ein Mangrovensaum mag vielleicht als Wellenbrecher geeignet sein, gegen unaufhaltsam steigende Fluten kann er nichts ausrichten. Und schon Tsunamis erfüllen das Kriterium eines Brechers nur bedingt.

    Die Menschen siedeln halt bevorzugt im tiefgelegenen, fruchtbaren Schwemmland – dort wird abgeholzt und intensiv Landwirtschaft betrieben. Hier sehr eindeutig zu sehen, daß die Rodungen ganz überwiegend im Tief-/Flachland vorgenommen wurden und werden (Fig. 9+10):
    http://www.gisdevelopment.net/…ts11/ts11001b.asp

    Ich will Mangrovenwälder damit nicht als bedeutungslos brandmarken und ihre Abholzung befürworten. Nur glaube ich eben nicht, daß in ebenem Gelände das Wasser über Stunden auf der einen Seite eines Waldstreifens ein paar Meter hoch stehen kann und auf der anderen Seite sickert’s bloß ein wenig heraus.

  6. Noch ein Bonbon

    Das hier ist übrigens der durch Mangroven geschützte Ort Kapuhenwal, in dem ‘nur’ zwei Menschen umkamen:
    http://maps.google.de/…0.003664&t=h&z=18

    Und hier haben wir den Ort Wanduruppa, zumindest einen Ausschnitt davon, dort kamen etwa 6.000 Menschen um:
    http://maps.google.de/….003974,0.003664&z=18

    Die Lokalisierung erfolgte auf Basis dieses Assessments:
    http://www.recoverlanka.net/…sessment-report.pdf

    Vielleicht gibt die unverfrorene Dreistigkeit, mit der Wissenschaftler, GOs, NGOs und Medien die Bevölkerung belügen ja dem einen oder anderen zu denken.

  7. @W.Flamme …wogegen schützen Mangroven?

    Die Lokalisierung der genannten Orte konnte ich leider nicht nachvollziehen. Aber Skepsis ist angebracht. Zur Frage, wogegen Mangroven schützen: Ziemlich sicher gegen Erosion durch Gezeiten, wahrscheinlich auch gegen “mäßige” Sturmfluten. Im Falle einer “schweren” Sturmflut oder eines Tsunamis sollte man keinen unmittelbaren Schutz durch einen Mangrovenwald vermuten. Vielleicht mittelbar als Wellenbrecher. Oder eben dadurch, dass der Mangrovenwald dafür sorgen kann, dass sich weniger Leute direkt an der Küste aufhalten. Im Flachland kann “direkt” aber auch viele 100m landeinwärts sein.

  8. @Harald

    Betr. Lokalisierung: Im Assessment sind die beiden Orte ab lfd. S. 28 (Sektor 1 und Sektor 4) verzeichnet; eigentlich ganz einfach zu finden. Auf die kleinere, geschützte ‘Ortschaft’ mußten sie allerdings mit einem Pfeil hinweisen – ohne den hätte ich die paar Hütten wohl auch nicht entdeckt.
    Nicht nur von der Größe, auch von der Lage her halte ich die beiden Orte nicht für vergleichbar.

    Nachdem ich mir da einige Arbeiten zum Thema angesehen habe, fällt mir doch auf, daß Höhe über dem Meeresspiegel, Nähe zum Meer, Flußlage etc. regelmäßig unterbewertet werden – alles stürzt sich sofort auf die Bedeutung der Vegetation.

    Die ist aber eben keine unahhängige Variable sondern ein Confounder, der ohne explizite Korrektur dann zur Überbewertung führt.

    Das klassische Beispiel mit der Abhängigkeit der Einkommenshöhe von Geschlecht und Schuhgröße hilft da vielleicht beim Verständnis: Männer haben idR ein höheres Einkommen als Frauen, aber sie haben üblicherweise auch größere Füße. Eine simple Analyse würde also zeigen, daß das Geschlecht wohl den größten Einfluß aufs Einkommen habe, aber gleich dahinter käme dann die Schuhgröße als wichtiger Einflußfaktor…

    Harsche Kritiker behaupten daher, die Schutzwirkung von Mangroven würde ähnlich überbewertet, tatsächlich seien nur etwa 1% der Schadenswirkung mit schützender Vegetation zu erklären. Da ist die Frage dann schon berechtigt, ob es sich für 1% weniger Schäden lohnt, sein Fischerboot täglich hunderte Meter durch Mangrovensümpfe zu schleppen und den Badetouristen für immer Adieu zu sagen… und natürlich, ob das Siedlungsverhalten künftig objektiv berücksichtigt, wie gering die Schutzwirkung von Mangrovensäumen tatsächlich ist.

    Bei der Erosionsvermeidung bin ich auch ein wenig skeptisch, denn das hat derzeit wohl noch niemand im Griff. Es gibt haufenweise Beispiele, wo Buhnen und Wellenbrecher entgegen aller Expertenmeinung und Modellen genau den entgegengestzten Effekt gezeigt haben (Wellen tragen ja nicht nur ab) und ich wüßte keinen Grund, warum das beim Pflanzen natürlicher Barrieren grundsätzlich berechenbarer sein sollte.

    Im Moment tendiere ich daher dazu, Mangrovensümpfe einfach als ökologisch einzigartige und erhaltenswerte Lebens- und Fortpflanzungsräume zu betrachten, sofern sie sich nicht vor meiner Haustür befinden.

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