Autorenschaft und die Integrität klinischer Forschung

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Bei klinischen Studien, in denen neue Medikamente auf ihre Wirkungen und Nebernwirkungen hin untersucht werden, steht für die Hersteller viel Geld auf dem Spiel. Die Kosten für die Entwicklung neuer Wirkstoffe geht in die Milliarden, und dieses Geld ist verloren, sollten die klinischen Tests nicht das erhoffte Ergebnis bringen.

Umso wichtiger ist die Unabhängigkeit derjenigen, die solche Studien durchführen: Der Autor einer Studie steht mit seinem Namen und dem seiner Institution für die Qualität und Seriosität der Forschung. Doch dass der Wissenschaftler, der als Erstautor in der Studie genannt ist, die Studie auch tatsächlich konzipiert, durchgeführt, ausgewertet hat, ist längst nicht selbstverständlich.

Dieser nicht ganz neuen Problematik hat sich eine Fallstudie in der aktuellen Ausgabe des Journal of the American Medical Association (JAMA) angenommen. Die Arbeit von vier amerikanischen Medizinern handelt vom inzwischen einkassierten Merck-Wirkstoff Rofecoxib (Bis 2004 unter dem Namen Vioxx im Handel) und segelt derzeit medial etwas im Windschatten der wesentlich spektakuläreren Berichterstattung über angebliche zusätzliche Todesfälle durch diesen Wirkstoff.

Dabei macht es einen großen Unterschied, ob der Verantwortliche für eine Studie sein Gehalt vom Hersteller des untersuchten Medikaments bezieht oder eben aus dem Budget einer Universität. Umso bedenklicher sind die offenbar nicht unüblichen Praktiken zur Verschleierung der Autorschaft, die Ross et al. in der aktuellen Ausgabe von JAMA am Beispiel des Unternehmens Merck aufzeigen.[1]

Zwei Varianten werden erwähnt. Zum einen sind das so genannte Gast- oder Ehrenautoren, also Wissenschaftler, die als Autoren genannt werden, obwohl sie an der Studie nicht hinlänglich beteiligt waren. Auf der anderen Seite gibt es Ghostwriter, die zwar den größten Teil der Arbeit machen, als Autoren jedoch nicht erwähnt werden.

Im Zuge zweier Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Präparat Vioxx musste die Firma Merck eine große Anzahl interner Dokumente freigeben, anhand derer sich – das sagen zumindest Ross und Kollegen – das Ausmaß derartiger Praktiken exemplarisch belegen lässt. Zitat aus der Arbeit:

[Guest authorship] was identified in 16% of research articles, 26% of review articles, and 21% of editorials in a survey of 6 peer-reviewed medical journals, in addition to 41% of Cochrane reviews.

Die Cochrane Reviews sind systematische Übersichtsarbeiten, die von der Cochrane Collaboration bereitgestellt werden und, Zitat, „Wissenschaftlern und Ärzten eine wissenschaftlich fundierte Informationsgrundlage [bieten], um den aktuellen Stand der klinischen Forschung in kurzer Zeit objektiv beurteilen zu können.“
Diese Dokumente haben einen beträchtlichen Einfluss darauf, welche Behandlungsmethoden in der Zunft als Standard gelten.

Von seriöser Information kann jedoch keine Rede mehr sein, wenn vorne Autoren draufstehen, die an der Arbeit gar nicht mitgeschrieben haben. In JAMA stellen Ross et al. beispielhaft zwei Versionen einer Studie vor, einerseits einen Entwurf direkt nach dem Ende der Testreihen, zum anderen das publizierte Paper.[2]

Die erste Version trägt die Namen von neun Merck-Forschern, die offenbar diese Studie durchgeführt haben. Am Anfang der Autorenliste findet sich der vielsagende Vermerk "External Author?"
In der fertigen Veröffentlichung sind dann auch elf Autoren angegeben; die ersten Autoren stammen von der University of California und vergleichbaren Institutionen und tauchen im ersten Entwurf nicht auf. Welchen Beitrag haben sie geleistet? Ross und Kollegen schlussfolgern:

Although there are minor differences in language and organization between the draft and final versions of the manuscript (particularly in the abstract, as opposed to the text), the results presented are almost identical, reinforcing that the trial itself and the analyses were complete before the academically affiliated investigators were involved in the manuscript.

Doch wer schreibt die Arbeiten dann? Die eigentlichen Autoren landen, wie in diesem Beispiel gesehen, auf den weniger beachteten Plätzen der Autorenliste. In anderen Fällen werden gar nicht erst aufgeführt, wie wir in JAMA lesen:

Ghostwriting was demonstrated in 13% of research articles, 10% of review articles, 6% of editorials, and 11% of Cochrane reviews; other research has found similar rates.

Diese Ghostwriter, heißt es weiter, arbeiten für professionelle Publisher, die zum Beispiel Reviewartikel über einzelne Produkte schreiben. Die fertigen Reviews werden dann externen Medizinern vorgelegt, die als Autoren auftreten und dafür einige hundert bis tausend Dollar Aufwandsentschädigung erhalten.

Verantwortlich für derartige Praktiken ist jedoch keinesfalls die Industrie allein. Wie JAMA-Chefredakteurin Catherine DeAngelis und ihr Kollege Phil Fontanarosa in einem Editorial mit dem Titel „Impugning the Integrity of Medical Science” schreiben, steckt der Fehler im System. Sie fordern vor allem strengere Kontrollen, zum Beispiel eine Überprüfung der finanziellen Verbindungen zwischen Autor und Hersteller schon im Zuge des Peer Reviews.
Erstaunlicherweise sind bei ihnen mal nicht die anderen Schuld, ihre elf Forderungen richten sich weit überwiegend an die Teilnehmer im Veröffentlichungsprozess: Zeitschriften und Gutachter.

Es handelt sich nach Ansicht von DeAngelis und Fontanarosa dabei nicht um Einzelfälle. Der negative Einfluss der Industrie auf die Integrität medizinischer Forschung habe, schreiben sie, Ausmaße angenommen, die die Akzeptanz medizinischer Forschung in der Öffentlichkeit bedrohten:

Second, public trust for clinical research is in great jeopardy especially when the extent of how widespread such practices have become is unknown. […] Drastic action is essential, and cooperation of everyone involved in medical research, medical editing, medical education, and clinical practice is required for meaningful change to occur.[3]

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
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[1] Ross et al. weisen allerdings darauf hin, dass derartige Praktiken auch von anderen Herstellern bekannt sind.

[2] L.J. Thal, S.H. Ferris, L. Kirby et al. A randomized, double-blind, study of rofecoxib in patients with mild cognitive impairment, Neuropsychopharmacology, 30(6) (2005), 1204-1215.

[3] Hervorhebungen von mir.

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