Die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts

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Das 21. Jahrhundert, heißt es, werde das Jahrhundert der Biotechnologie. Oder der Nanotechnik. Oder der Photonik. Alles falsch. Unser Überleben im 21. Jahrhundert steht und fällt mit der Chemie.

Der Menschheit stehen mal wieder Veränderungen ins Haus. Diesmal ist es nicht eine neue Technik die den Wandel erzwingt. Vielmehr bedingen äußere Umstände drastische Veränderungen in der Technik: Erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe sollen uns aus der Klemme befreien, in die uns die langsam schwindenden fossilen Ressourcen bringen. Motoren sollen effizienter, Batterien leistungsfähiger werden und maßgeschneiderte Werkstoffe Medizin und Ingenieurskunst revolutionieren. Was glaubt ihr wohl, wo der ganze Kram herkommen wird?

Bereits heute geht ohne Chemie praktisch nichts mehr, auch nicht im Alltag. Der Verbraucher muss jeden Tag unzählige Male darüber entscheiden, welche Chemie er verwendet und wie er es tut. Lebensmittel sind genauso Produkte moderner synthetischer Chemie wie Gebrauchsgegenstände: Etwa die Hälfte[1] allen vom Menschen verzehrten Stickstoffes stammt ursprünglich aus dem Haber-Bosch-Verfahren. Dein Essen kommt buchstäblich aus dem Reaktor.

Der Einzelne hat zwar als Konsument große Macht darüber, welche Produkte er will und welche nicht, ohne profunde Chemiekenntnisse jedoch ist der Verbraucher de facto ausgeliefert wie ein Haustier, dem täglich ein Futternapf vorgesetzt wird[2]. Politik und Gesellschaft haben vor dieser Entwicklung kapituliert und suhlen sich in totaler Ahnungslosigkeit. Ignorance is bliss.

Diese selbstgewählte Unmündigkeit[3] können wir uns allerdings immer weniger erlauben. Speziell Fundamentalopposition gegen neue Technologien wie Grüne Gentechnik oder Nano-Werkstoffe wird sich schnell als Bumerang erweisen, denn wer sich verweigert, überlässt anderen die Gestaltung der Zukunft. Zumal diese prominenten Beispiele letztendlich nur Reizbegriffe sind, in deren Windschatten sich wesentlich dramatischere Veränderungen abspielen. Noch vor 20 Jahren brauchte man eine um ein Drittel größere Fläche, um eine gegebene Menge Mais zu produzieren. Plastik zu recyceln galt als enorme Herausforderung – heute werden (bei freundlicher Zählung) 40 Prozent aller Kunststoffabfälle wiederverwertet. Und so fort.

Das allerdings ist erst der Anfang, denn all das ist nur dank beliebig verfügbarer Energie und billigen Rohstoffen möglich. Damit ist jetzt Schluss. Für all das, was die Menschheit bisher mit Hilfe von knapp 90 Millionen Barrel Öl pro Tag bewerkstelligt hat, müssen wir in Zukunft mit dem Vorlieb nehmen, was da ist. Zum Beispiel Biomasse, Solarenergie, Wasserstoffwirtschaft.

Tolle Ideen zur Umsetzung gibt es allerorten. Die Sache hat einen ganz kleinen Haken: Die nötigen Technologien gibt es noch gar nicht. Genauer gesagt, sie existieren im Prinzip, was nichts anderes heißt als dass ein paar hochgejubelte Visionäre einen Prototyp im Labormaßstab gebastelt haben und sich feiern lassen, während sich die Chemiker an nebensächlichen Details abarbeiten. Zum Beispiel, wie man die benötigten High-Tech-Materialien im Tausendtonnenmaßstab bereitstellt, für weniger als zehn Cent das Kilo und bitteschön aus nachwachsenden Rohstoffen. Und natürlich kompostierbar.

Bevor die schöne neue Welt der Nachhaltigkeit auch nur ansatzweise Wirklichkeit werden kann, muss noch jede Menge Chemie betrieben werden. Genauso wie übrigens für all die neuen tollen Medikamente gegen alles Mögliche. Die kann man zwar manchmal biotechnisch herstellen, aber ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass man die Bakterien hinterher nur abfiltrieren muss und dann hat man das neueste Wundermittel gegen Krebs? Der Computer, an dem ihr diesen Text lest, enthält über 60 Elemente, und die wachsen auch nicht auf Bäumen, schon gar nicht in gediegener Form.

Je knapper die Ressourcen werden und je strenger die Normen für Gesundheits- und Umweltschutz, desto Anspruchsvoller wird die Chemie. Nicht nur unser gegenwärtiger Lebensstandard, sondern sogar unser Überleben unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts hängt vor allem davon ab, Stoffe atomgenau zu manipulieren. So wie die Chemie das 20. Jahrhundert geprägt hat, wird sie auch das 21. Jahrhundert bestimmen.
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[1] Über den genauen Wert sind sich die Quellen uneinig
[2] Für Katzen gelten Sonderregeln. Die Viecher können ganze Straßenzüge versklaven.
[3] Exemplarisch zu sehen im Wahlomat von Spiegel Online, der unter 38 Testfragen keine einzige zum Thema Forschungspolitik vorzuweisen hat – was einerseits zwar eher peinlich, letztendlich aber wenig überraschend ist.

7 Kommentare

  1. Sehr schön

    Sehr schöner Artikel. Hätte fast von mir sein können *lacht*

    Ne, ernsthaft: Offensichtlich wissen viele Menschen gar nicht, wo die Zusammenhänge liegen. Sie sehen nur gewisse Ausschnitte und bilden sich dann ein Urteil. Vieles ist aber auch viel komplexer.

  2. Schlüsseltechnologien

    Ja, das ist wohl alles sehr wahr und sehr richtig was der Autor da schreibt – nur dass jetzt bitte nicht alle anderen Berufsgruppen ebenfalls anfangen, die Überlebenswichtigkeit ihres Berufsstandes herausstellen zu wollen! Die Physiker etwa, oder die Mathematiker, die Humanmediziner, die Juristen gar …
    Am Ende kommen dann nämlich noch die Astrologen, die Wirtschaftswissenschaftler und die Politiker und melden ihr Importanz-Primat an, na, und dann schlägt bestimmt auch bald die Stunde der Moralphilosophen, Atomkraftwerksbetreiber und Theologen, der Herr möge uns beistehen!

    Aber da Weltretten immer auch im ganz Kleinen anfängt, sollten wir vielleicht zunächst mal die Macht der Fotografen nicht unterschätzen: lieber Herr Fischer – nun stellen Sie doch bitte ein anderes Bild von sich über Ihre Kolumne, das aktuelle ist ja gaanz fürchterlich, sorry!
    (Und da wir schon mal beim Thema sind: könnte der Herr Pöppe nicht vielleicht auch …)
    Aber ich will nicht übertreiben – eins nach dem andern.

    Denn eines weiss der Chemiker / aller Anfang, der ist schwer …

    🙂
    DD

  3. … und solche, die es werden wollen

    Bester Herr Dussek (oder gibt es wider Erwarten irgendwo eine optimierte Version?), ich denke, die Welt zu retten, hat sich Herr Fischer mitnichten auf die Fahne geschrieben. Man kann diesem Blog hier – ein Minimum an echtem Interesse vorausgesetzt – aber ohne Schwierigkeiten entnehmen, daß er nun einmal Chemiker ist. Und als solcher tut er genau das, was manch anderem auch gut zu Gesicht stehen würde: Er spricht über die Dinge, von denen er etwas versteht. Er informiert. Und zwar dermaßen gut, daß sein Blog inzwischen auch unter Nichtwissenschaftlern für seine Verständlichkeit und seine inhaltliche Qualität weithin bekannt ist.

    Wie Sie aber schon ganz richtig festgestellt haben, fängt man beim Verbessern am besten im Kleinen an. In den allermeisten Fällen bedeutet dies: Bei sich selbst. Nach Besichtigung Ihrer oben angegebenen Webseite ziehe ich es in Betracht, eine Augenklinik aufzusuchen, denn nicht nur die farbliche Gestaltung, sondern insbesondere Ihr eigenes Profilbild treiben mir einen nicht zu stoppenden Tränenstrom in die Augen. Ein Effekt, der hier in diesem Blog nicht zu erwarten ist.

    Oder anders gesagt: “Wenn man keine Ahnung hat, …” Sie kennen den Rest des Zitates, gell? Na bitte. Danke.

  4. @Dankwart

    In der Wahl Ihres eigenen Bildes besitzen Sie in etwa die gleiche schlafwandlerische Sicherheit wie in der Auswahl des Bildes, das einem retinaüberfallartig beim Besuch Ihrer Website entgegenplärrt.

    Einen Artikel zu Ihrer eigenen Überlebenswichtigkeit werden Sie der Welt ja dann sicher ersparen. Andererseits, Ihre Website haben Sie der Welt ja auch nicht erspart. Und daran sieht man, dass das Internet Raum für wirklich alles bietet.

  5. Mal ganz abgesehen davon…

    … das ihre eigene Webseite furchtbar aussieht, Herr Dussek, was hat das Profilbild des Autors mit dem Inhalt des Beitrags zu tun? Und was spricht dagegen dass jeder beschreibt wie und warum sein Beruf toll ist und die Welt rettet? Gut dass das Internet so toll ist dass man überall seinen irrelevanten Senf zugeben kann.

    Ansonsten stimme ich dem Artikel natürlich zu, nicht nur weil ich Chemikerin bin und ich fühl mich motiviert mein Blog mal wieder zu Updaten.

  6. Farblehre

    Aber, aber – man könnte ja fast meinen, ich hätte in einer dänischen Zeitung die Einstein-Karikaturen veröffentlicht …
    Da wir jedoch auch unbegründete Kritik seehr ernst nehmen, haben wir ab sofort für den manisch-seriösen Teil unserer Leserschaft eine erheblich farbreduzierte Ausgabe im Angebot.

    mit ganz viel mfg
    DD

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